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Als Friedchen noch beim Tabak war

Elfriede Sander erinnert sich gern an ihre Zeit als Zigarrenmacherin

Von Thomas Hochstätter
(Text und Fotos)
Löhne-Mennighüffen (LZ). Geraucht hat Elfriede Sander nie. »Für Rauchen und für Trinken, da möchte ich nicht arbeiten«, sagte sie sich stets. Für Raucher gearbeitet hat die heute 81-Jährige jedoch lang und gern. Denn auf ihre Zeit als Zigarrenmacherin, da lässt Elfriede Sander nichts kommen.

Die hölzernen Zigarrenformen hängen blumengeschmückt im Flur ihrer Dachgeschosswohnung an der Wand. Elfriede Sander erinnert sich gern an die Zeit, als sie, die Frida oder Friedchen genannt wurde, 14-jährig aus der Schule kam und bald einen Arbeitsplatz hatte: »Auch meine Tante und meine Mutter waren beim Tabak. Da war der Lehrvertrag bei der großen Zigarrenfabrik Isemann in Ostscheid eine gute Sache.« Das sahen nicht wenige Mädchen und Frauen der damaligen Zeit so. Laut Stadtarchiv hatte die Fabrik mit der Adresse Mennighüffen 14, heute Werster Straße 140, kurz nach Elfriede Sanders Ausbildungsbeginn 69 Beschäftigte, ohne das Büropersonal. 53 von ihnen waren weiblich.
Die gebürtige Obernbeckerin hat in der Lehrzeit offenbar gut aufgepasst. Denn das große faltige Tabakblatt, das sie inzwischen hervorgeholt hat, gerät ins Wirbeln, als die Witwe den Stiel herausdreht und mit dem diagonalen Aufrollen beginnt. Sie lächelt, als sie das Staunen über so viel Fingerfertigkeit bemerkt. »Das hat mir immer Spaß gemacht.« Es habe ihr leid getan, als die Branche danieder ging. Nach dem knappen Vierteljahrhundert als Zigarrenmacherin war sie noch beim Staatsbad, in einer Möbelfabrik und in einer Rehaklinik tätig. Aber Erinnerungsstücke hängen nur vom Tabak an der Wand. Über dieses Handwerk weiß sie alles: »Ich kann an einer Zigarre auch erkennen, ob sie links herum oder rechts herum gerollt wurde«, erklärt sie. Das verrate die Naht.
Gelernt hat Elfriede Sander bei einer Verwandten. Und diese Frida Kruse überstürzte es mit dem Beibringen nicht: »Im ersten Jahr bei Isemann habe ich nur Wickel gemacht. Im zweiten Jahr habe ich gerollt. Im dritten Jahr hatten wir schon Wickelmaschinen.« 300 dicke Zigarren am Tag oder 1000 Zigarillos - wer damals über die Runden kommen wollte, der musste sich ranhalten. »Aber von der Arbeit beim Tabak allein haben die wenigsten gelebt«, erzählt Elfriede Sander. Der Frauenberuf sei mehr ein Zuverdienst gewesen. Die Männer hätten sich derweil über das monatliche Deputat gefreut. »30 Zigarren waren das«, erzählt sie. Einen Nachteil hatte das Gratisrauchen jedoch: »Da musste man alle acht Wochen die Gardinen waschen.«
Der Tabakkonsum war in Mitteleuropa schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt, doch gelangte Tabak in größerem Umfang erstmals im späten 18. Jahrhundert nach Deutschland. In diese Zeit fällt auch die Gründung der ersten deutschen Zigarrenfabrik in Hamburg 1788. In Westfalen wurden die ersten Zigarren 1830 in Vlotho und Minden hergestellt. 1842 wurde die Zigarrenfabrikation im Kreis Herford in zunächst noch kleinen Manufakturen in Herford und Bünde aufgenommen.
1898 gab es laut Stadtchronik im Amt Gohfeld-Mennighüffen bereits 65 Zigarrenfabriken. Historiker fanden dafür den Begriff der wirtschaftlichen Monostruktur. In der Gemeinde Obernbeck, woher Elfriede Sander stammt, sollen in der Blütezeit annähernd 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung von der Zigarrenherstellung gelebt haben, viele davon als Heimarbeiter. Eines der Zigarrenmacherhäuser aus dem Ellerbusch ist heute unweit des Heimatmuseums am Häger Marktplatz zu sehen.
»Die Schwester meiner Großmutter ist noch in Tracht zur Arbeit gegangen«, erzählt Elfriede Sander. Auch sie hat diese Tracht getragen, zum Beispiel 1999 in Löhnes österreichischer Partnerstadt Spittal und zuletzt beim Mennighüffener Jubiläumsumzug. Denn Elfriede Sander war auch damals schon eine der letzten, die noch vom Zigarrenmachen in Löhne erzählen können.

Artikel vom 01.05.2007