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»Die Grenze des Machbaren ist jetzt erreicht«

Bilanz der AWO-Schwangerschaftsberatungsstellen: Verhütung wird immer teurer

Von Jürgen Köster
Kreis Höxter/Bad Driburg (WB). »Mit drei Halbtagsstellen können wir nicht mehr leisten. Die Grenze des Machbaren ist erreicht«, kommentiert Dieter Heistermann, AWO-Kreisvorsitzender, die Entwicklung in den Schwangerschaftsberatungsstellen des Verbandes. Die Anzahl der Fälle und Kontakte ist 2006 erneut gestiegen.

Das geht aus dem Jahresbericht 2006 hervor, den die Diplom-Sozialarbeiterinnen Beate Knievel-Boraucke, Marion Kunisch und Marianne Thebille gestern in der Kreisgeschäftsstelle der AWO in Bad Driburg vorgelegt haben. Insgesamt wurden 1614 Beratungsgespräche mit 369 Ratsuchenden geführt. 68 Gespräche seien so genannte Konfliktberatungen gewesen. 2005 waren dies noch 78. »Diese Zahl deckt sich mit der bundesweiten Entwicklung. Nach Auskunft des statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2006 3,5 Prozent weniger Schwangerschaftsabbrüche gemeldet als 2005«, berichtete Marianne Thebille.
Die 1614 Beratungskontakte in den drei Anlaufstellen in Bad Driburg, Höxter und Beverungen teilen sich auf in 1404 Einzel- und 210 Paarberatungen. Die meisten Frauen in der Konfliktberatung sind laut Thebille zwischen 27 und 34 Jahren alt gewesen, gefolgt von der Altersgruppe der 22- bis 26-Jährigen. Die Zeiten, dass Minderjährige in die Beratung gekommen seien, wären offenbar vorbei, meinten die drei Sozialarbeiterinnen. Der Grund dafür sei sicherlich auch in der präventiven sexualpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen zu suchen.
Aber: Die Zahl der durchschnittlichen Beratungskontakte ist seit 2004 um mehr als 30 Prozent gestiegen. Heistermann: »Im Jahr 2004 waren es monatlich noch 101, 2005 schon 122 und im vergangenen Jahr 135. Das ist kaum noch zu leisten und geht nicht zuletzt zu Lasten der Beratungsqualität.«
Eine alarmierende Entwicklung stellte Marion Kunisch in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. »Die Verhütungsmittel werden immer teurer. Die Menschen haben aber immer weniger Geld. Die Frauen und Männer, die zu uns kommen, haben massive existentielle Ängste; das belastet die Partnerschaften. Und es ist fast bei allen so, dass sie sich Verhütungsmittel kaum noch durchgängig kaufen können.« Erschwerend komme hinzu, dass die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche bei Bedürftigkeit übernommen würden. Hier sei eine Nachbesserung erforderlich.
Beate Knievel-Boraucke ging näher auf die Situation des Kinderschutzes ein. Von Vorteil für die Beraterinnen sei, dass sie schon sehr früh mit den Familien zusammenarbeiteten. Auch die Freiwilligkeit erleichtere den Zugang zu den Betroffenen. »Wir haben immerhin fast neun Monate Zeit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen«, berichtete die Sozialarbeiterin. Falls ein Kind vernachlässigt und die Notwendigkeit zum Eingreifen erkannt werde, könnten jederzeit Experten hinzugezogen werden. Knievel-Boraucke: »Die Vernetzung ist gut, aber wir wollen sie gern noch verbessern.« Um dies zu erreichen müssten jedoch auch entsprechende Mittel bereitgestellt werden, erklärte Dieter Heistermann.
Auf ein Novum wies Marianne Thebille hin. Mit Stefan Ipping als Praktikant arbeite das Beratungsteam erstmals mit einem Mann zusammen. »Es ist gut, dass wir einmal über den Tellerrand hinausschauen. Denn normalerweise erfolgt die Beratung eher von Frau zu Frau«, urteilte die Sozialarbeiterin. Gerade bei der Sexualerziehung sei die Unterstützung durch einen Mann hilfreich. Im Jahr 2006 haben 140 Jugendliche an den sexualpädagogischen Infoveranstaltungen der AWO teilgenommen.
Über ihre Beratungstätigkeit hinaus ist die AWO auch weiterhin auf Sachspenden (Betten, Kinderwagen, Hochstühle) angewiesen. Aber auch finanzielle Unterstützung ist erforderlich, »denn die Fallzahlen steigen, der Etat jedoch bleibt gleich«, betonte Thebille. Bei der Sparkasse Höxter (Bankleitzahl 47251550) ist ein Spendenkonto (Kto.-Nr. 100 63 94) eingerichtet.

Artikel vom 19.04.2007