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Verzweifelte Giselle landet in Psychiatrie

Landestheater zeigt faszinierende Ballett-Inszenierung

Von Hans-Joachim Chollet
Paderborn (WV). Mit »Giselle« bot das Landestheater Detmold Dienstagabend in der schwach besuchten Paderhalle eine begeisternde Aufführung.

Dieses künstlerische deutsch-französische »Joint venture« datiert schon von 1841: Heinrich Heine lieferte die sagenhafte Vorlage. Theophile Gautier und Vernoy de Saint-Georges formten daraus das Ballett, und Adolph Adam schuf die fantasievolle Musik - ein Meisterwerk, das zum Inbegriff der französischen Ballettromantik wurde: Es schildert die Liebe zwischen der tanzbegeisterten Giselle, einem dadurch zur Außenseiterin werdenden Bauernmädchen, und dem Adligen Albrecht, der - hingerissen zwischen Standespflicht und Neigung - seine Liebe verrät, Giselle dadurch in den Wahnsinn treibt und doch nicht von ihr lassen kann.
Richard Lowe hat die Handlung im 1. Akt nur schwach verändert, verwandelt aber nach der Pause die gewohnte Friedhofsszene in eine psychiatrische Klinik - und hat trotzdem damit Erfolg! Zum einen hilft ihm Adams tragfähige Musik mit ihrer federnden Rhythmik, ihrer leitmotivischen Charakterisierung, die schon zu Beginn drängt und dramatisiert, so dass zwischen den Szenen gar kein Applaus aufkommen kann, die aber auch Atem schöpft in den lyrischen Passagen und mit Augenzwinkern sich Elemente aus der opera comique borgt. Das Orchester unter der aufmerksamen Leitung von Jörg Pitschmann weiß die Vorgaben stimmungsgenau und zu Anfang beinahe überhastet umzusetzen.
Bezaubernd ist Antoinette Debden in der Titelrolle, wie sie die volle Bandbreite zwischen Glückseligkeit und Verzweiflung nicht nur tänzerisch darzustellen vermag. Edward James Gottschall als Albrecht ist der passende Partner, der Selbstgewissheit und Unsicherheit zu signalisieren versteht, Daniel James Butler als Giselles vertrauter und dann eifersüchtiger Freund Hilarion bietet eine eindrucksvolle Charakterstudie.
Auch das Ensemble mischt sich in bemerkenswerter Lockerheit und Tanzfreude ins Geschehen ein, so dass sich eine kammerspielartige Intensität entfaltet, nicht nur auf der optisch reizvollen Margeritenwiese des 1. Aktes, sondern auch in der bedrohlich wirkenden Abgeschlossenheit der Klinik. Legeres Braun-Beige bei den Landleuten, vornehmes Schwarz beim Adel und das nivellierende Weiß der »zerstörten Seelen« in der Klinik, denen in Gaetan Chailly als »Engel« ein warmherziger Helfer zuwächst.
Langanhaltender, schließlich rhythmischer Beifall für einen kurzweiligen weil interessanten Ballettabend mit ausgeloteter und bezwingender Körpersprache.

Artikel vom 19.04.2007