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Gericht liest Rentenversicherung die Leviten

Behindertem Jungen noch im Gerichtssaal dringend erforderliche Sprachtherapie genehmigt

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WV). Bei Kuren, Rehabilitationsmaßnahmen und stationären Heilbehandlungen sind Rentenversicherungsträger und Krankenkassen mit dem Rotstift fix zur Stelle. Das Sozialgericht Detmold hat der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Westfalen deshalb gehörig die Leviten gelesen.

Die Münsteraner Behörde hatte in ihrer Sparwut die Kostenübernahme für eine medizinisch ganz offensichtlich dringen erforderliche Sprachtherapie eines behindertes Kindes abgelehnt.
Der neunjährige Dominik aus Paderborn leidet unter einer allgemeinen Entwicklungsstörung, kombiniert mit einer schweren Sprachentwicklungsverzögerung Sein sprachliches Niveau gleicht dem eines Kleinkindes. Was er sagt, ist bis auf wenige Worte meist völlig unverständlich. Der Junge besucht eine Förderschule.
Gute Erfolge brachte im Mai 2005 eine vierwöchige Kinderheilbehandlung in einer Spezialklinik in Bissendorf. Die Ärzte empfahlen deshalb dringend eine Fortsetzung in Form einer weiteren stationären Therapie. Was Ärzte der Bad Lippspringer Karl-Hansen-Klinik sowie Lehrer, Hausarzt und Logopädin im Oktober 2005 noch einmal bestätigten.
Aufgrund der Arztberichte forderte die DRV Dominiks Eltern im April vergangenen Jahres sogar von sich aus auf, erneut die Bewilligung einer Kinderheilbehandlung zu beantragen. Was die Mutter dann auch umgehend tat. Um so größer war ihr Erstaunen, als sie den Ablehnungsbescheid mit der Begründung bekam, eine weitere Heilbehandlung könne erst nach vier Jahren wieder genehmigt werden, der Gesundheitszustand des Kindes mache eine vorzeitige Maßnahme auch nicht dringend erforderlich.
Der Widerspruch der Eltern blieb erfolglos. Der sozialmedizinische Dienst der DRV kam zu dem Ergebnis: »Im zeitlich begrenzten Rahmen eines stationären Klinikaufenthalts, in welchem allein auf die Sprachproblematik abgehoben wird, kann eine solch komplexe Problematik (Anmerk. d. Red.: Lernbehinderung und Sprachentwicklungsstörung) nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Erforderlich ist eine kontinuierliche Förderung unter Alltagsbedingungen«.
Mit Hilfe ihres Rechtsanwalts Christian Waltemate verklagten die Eltern die Rentenversicherung daraufhin beim Sozialgericht. Der zuständige Richter Dr. van Meegen wies gleich zu Beginn der Verhandlung darauf hin, er halte die Gewährung einer stationären Reha-Maßnahme für »dringend erforderlich«. Diese intensive Form der Therapie könne quasi der Anschub für den Erfolg einer späteren ambulanten Logopädie sein. Die ambulante Therapie laufe doch in der Praxis so ab, »dass das Kind gleichsam zwischen Schule und Hausaufgaben zwischendurch zur Logopädie geht, wie andere Kinder in den Sportunterricht«. Die Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes sei wenig überzeugend.
Der DRV-Vertreter bewilligte daraufhin noch im Gerichtssaal die beantragte Reha-Maßnahme für Dominik.
Kommentar von Rechtsanwalt Waltemate: »Traurig, dass ohnehin leidgeprüfte Eltern behinderter Kinder ihre Rechte auch noch gerichtlich einfordern müssen«.

Artikel vom 19.04.2007