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»Lieb Schätzelein, für dich allein«

WESTFALEN-BLATT-Serie Teil 2: Auf Glashändler lauerten überall Gefahren

Von Dr. Peter Bonk
Bad Driburg(WB). Der Glashandel, der mindestens seit 1756 nachweisbar und seit 1799 in organisierter Form belegbar ist, zählt neben der Geschichte der Driburger Glasherstellung und Glasveredelung seit 1532 sowie der Geschichte des Driburger Bades seit 1781/82 mit zu den Hauptfaktoren der Geschichte dieser Stadt.

Das Verhältnis zwischen den Driburger Glasmachern und den Bewohnern der Stadt war in der Frühzeit häufig gespannt und wenig freundschaftlich. Das lag auch daran, dass die Glashüttenbesitzer und ihr meist familiäres Personal protestantisch, die Bevölkerung dieser westfälischen Kleinstadt aber katholisch war. Das änderte sich erst, als die Glasmacher auf Bewohner der Stadt für den Glasversand nach Nah und Fern zurückgriffen, die zu Fuß mit der Kiepe, dem Hunde-, Ziegen- oder Eselskarren das gefertigte Gut zu den Kunden brachten.
Auch dem Paderborner Bischof waren die dauernden Querelen ein Dorn im Auge und in einem »Hirtenbrief«, so würden wir heute sagen, ermahnte er seine Driburger Schäfchen und Böcke, endlich von Tumulten und dem Faustrecht Abstand zu nehmen.
Es folgte nun eine Zeit, in der beide Berufsgruppen sich so gut verstanden, dass sich der Driburger Pfarrer veranlasst sah, 1803 das Rathaus abreißen zu lassen, weil im dortigen Ratskeller Glashändler und Glasmacher - so seine Begründung - sich so oft und ausgiebig betränken, dass selbst das Driburger Heilwasser die gesundheitlichen Schäden der Zecher nicht wieder gutmachen konnte. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass es in der Stadt bis heute keinen Gastronomiebetrieb gibt, der den Namen Ratskeller trägt.
Glasfabrikation und Glashandel, die früher allein schon aus konfessionellen Gründen Menschen voneinander schieden, haben im Laufe der Zeit dazu beigetragen, auch Menschen zueinander zu führen, und ein großer Verdienst beider Gewerbe besteht darin, dass besonders nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge aus Schlesien und Böhmen gut integriert werden konnten, und alle zusammen dieser Stadt besonders in den 50-er und 60-er Jahren zu einem beachtlichen Wohlstand verholfen haben.
Eine Geschichte aus Glashändlerkreisen soll hier Beachtung finden, weil sie anrührend und komisch zugleich ist, zeigt sie doch, dass Gefahren auf allen Wegen lauerten und die Glashändler auch mit allen Wassern gewaschen waren:
Im Jahre 1830 zogen drei Glashändler, so heißt es, wohlgemut und guter Dinge aus ihrem Heimatstädtchen am Fuß der Iburg fort in den Osten unseres Vaterlandes und kamen nach wochenlangen Märschen an die russische Grenze. Viel Glasgut hatten sie unterwegs schon verkauft und ihr Bargeldbestand war stetig gestiegen. So kamen sie auf die Idee, um auf dem Rückweg nach Driburg eine Leerfahrt zu vermeiden, von dort Ponys und Ziegen mitzubringen. Die russische Grenzpolizei, in Gestalt berittener Kosaken, griff die drei Glashändler auf, und die zunächst gelegene russische Behörde machte kurzen Prozess und verurteilte die Drei wegen Zoll- und Devisenvergehens zu zehn Jahren Verbannung nach Sibirien.
Davon hörte die Frau des Behördenleiters und erkundigte sich nach dem »Woher« der frisch Verurteilten. Als die feinfühlende Frau hörte, diese seien Glashändler aus Driburg, eröffnete sie diesen, sie selbst stamme aus Neuenheerse. Das, was nur Frauen besonders aus Neuenheerse bewerkstelligen können, gelang ihr bei einer Aussprache mit ihrem Mann. Großmütig, so heißt es, gewährte der Behördenchef Gnade und ließ die Drei ziehen.
Als Dank brachten die Driburger bei ihrer nächsten Reise besagter »First Lady« ein Glas mit, auf dem eingraviert stand: »Lieb Schätzelein - für Dich allein«. Dafür hätte der Gouverneur aus anderen Gründen noch einmal zehn Jahre Sibirien verhängen können. Er war aber wohl aushäusig, vielleicht auf Dienstreise.

Artikel vom 14.04.2007