14.04.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Die PDS ist ein reaktionärer Verein«

Lieder aus mehr als 40 Jahren: Wolf Biermann und ein Göteborger Chor gastieren in Herford

Bünde (man). Der Liedermacher Wolf Biermann gibt am Samstag, 14. April, in Herford ein Konzert. Beginn ist um 19.30 Uhr in der St. Johannis-Kirche, begleitet wird der neue Berliner Ehrenbürger vom Göteborger Kammerchor. Für Biermann ist es nicht der erste Herford-Aufenthalt, so trug er sich im vergangenen Jahr ins Goldene Buch der Stadt ein. Mit dem Musiker, der zwei Dikaturen erlebt hat, unterhielt sich BZ-Redakteur Hartmut Horstmann über Stasi-Spitzel, Religion und Grabstein-Inschriften.

Anlässlich der Verleihung der Berliner Ehrenbürgerschaft haben Sie Ihren Feinden von der PDSÊ ironisch gedankt. Das war provokativ. Welches Verhältnis haben Sie tatsächlich zu alten Feinden aus DDR-Zeiten, zum Beispiel zu Stasi-Spitzeln?ÊWolf Biermann: DieÊ allermeisten Opfer der DDR-Diktatur sind geradezu versöhnungssüchtig.Ê Aber Verbrechen, die von den Tätern aggressiv geleugnet werden, kann kein Opfer verzeihen.Ê Dieses moralische Kunststück könnte nur Gott, an den ich nicht glauben kann.
Aber mir begegneten nach dem Zusammenbruch der DDR etliche Spitzel des MfS, die ihre schuldhafte Verstrickung erkannt und auch offenbart und zudem tief bedauert haben. Mit solchen Menschen kann und muss man sogar wieder offen und ohne Hass und Arg und Bitterkeit sprechen. Die PDS aber ist die geistige und auch materielle Erbin der stalinistischen Nomenklatura des SED-Regimes.Ê
Also ist die PDS in meinen Augen ein reaktionärer Verein, der jetzt frechfröhlich auf der demokratischen Flöte sein altes totalitäres Klassenkrampfliedchen spielt.

Sie sind als überzeugter Kommunist in den Osten Deutschlands gegangen. Das heißt, Sie haben das bundesrepublikanische System abgelehnt. Wie beurteilen Sie es heute? Wie stehen Sie zur deutschen Einheit?Wolf Biermann: Ich war kein überzeugter Kommunist im Jahre 1953, sondern ein gezeugter, ein geborener, ein erzogener Kommunist. Als ich gegen den Strom der Flüchtlinge von West nach Ost ging, war ich 16 Jahre alt.
Gerade weil ich im ethischen Sinne so kommunistisch geprägt war, kam ich mit den »falschen Kommunisten« der stalinistischen Parteiführung in Ostberlin in Konflikt.
Die Nazikinder meiner Generation, die sich schämten für die Verbrechen ihrer Eltern,Ê waren in diesem Streit bescheidener und ängstlicher.Ê Meine Haltung war so, wie die meines väterlichen Freundes Robert Havemann in der DDR: Wir !!!Ê sind die richtigen Kommunisten - und Ihr !!! da oben im Politbüro der SED seid die falschen. Wir!!!Ê sind die Revolutionäre, und ihr seid die Konterrevolutionäre.
Erst nach meiner Ausbürgerung begriff ich unter Schmerzen, dass mein Kinderglaube nicht haltbar ist. Ich erkannte endlich, dass der Versuch, das kommunistische Himmelreich auf Erden zu erzwingen, immer in die schlimmsten Höllen totalitärer Diktatur führen muss.
Und nur deswegen konnte ich leider kein Kommunist mehr bleiben. Und lernte von Churchill, dass die Demokratie eine schrecklich unvollkommene Gesellschaftsform ist, aber von allen, die wir Menschen kennen, mit Abstand die beste. Also schreibe ich das Wort Wiedervereinigung mit »ie« und nicht - wie etwa mein zerfreundeter Freund GrassÊ - mit »i«.

ÊSie bezeichnen sich selbst als Atheisten. Gleichzeitig findet sich ein Lied von ihnen in einem schwedischen Kirchen-Gesangbuch. Und Sie treten auch in einer Kirche auf. Empfinden Sie hier nicht einen Widerspruch?Wolf Biermann: Ich habe von meiner Mutter Emma den Hochmut gegen die Religion kindlich abgelernt. Aber in der DDR, wo die Christen unterdrückt wurden, begriff ich schon bald, dass es egal ist, woran ein Mensch glaubt. Es kommt nur darauf an, ob ihn sein Glaube stärkt und ermutigt im Streit der Welt gegen Unterdrückung und Unmenschlichkeit. Ob nun Gott den Menschen schuf oder der Mensch den Gott - das ist eine eitle Streitfrage der Schwätzer, die mich Atheisten mit keinem tief gläubigen Christen, Juden oder Moslem auseinander treiben kann.
Ê
Viele Fragen an Sie, viele Artikel über Sie kreisen um Ihre Vergangenheit - Kindheit in der Hitler-Diktatur, Auftrittsverbote in der DDR zum Beispiel. Empfinden Sie es manchmal als Belastung oder Ärgernis, immer wieder auf Ihre Biographie angesprochen zu werden? Wolf Biermann: In meinem Lied »Im Steinbruch der Zeit« Êsinge ich im Refrain: Die Zukunft wird nämlich entschieden / Im Streit um die Vergangenheit.

ÊSie geben in Herford ein Konzert mit dem Göteburger Kammerchor. Spielen Sie ausschließlich neue Lieder oder enthält das Programm auch älteres Material?Wolf Biermann: So ein Chor braucht möglichst kurze Lieder, ich meine:Ê Lieder mit wenig Wortsalat, also keine narrativen Balladen, in denen lange Geschichten erzählt werden.Ê Also singe ich mit dem Göteborger Kammerchor ausgewählte Lieder von 1960 bis 2006.Ê Wenn ich selbst solch ein kleines Lied singe, klingt es wie eine Knospe, wenn aber der Chor das Lied singt, blüht sie auf, die Rose, die Nelke, die Hundeblume.

Ê Sie haben im vergangenen Jahr in Herford Ihre Übersetzung von Katzenelsons »Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk« vorgetragen? Eine großartige Arbeit - welche künstlerischen Projekte haben Sie für die Zukunft?Wolf Biermann: Da ich inzwischen ganz gut Deutsch kann, will ich mich an einer Sprache versuchen, die noch schwerer ist als Poesie: Prosa.

Ê Abschließend zwei auf den ersten Blick vielleicht komisch anmutende Fragen: Was bleibt von Wolf Biermann, wenn die Welt drei Jahrzehnte weiter ist? Der Dichter Rilke hat mit seiner Grabstein-Inschrift Literaturfreunden ein letztes Rätsel aufgegeben. Beschäftigen Sie sich als ein Mann der Sprache mit dem, was die Nachwelt auf Ihrem Grabstein lesen wird?Wolf Biermann: Darüber habe ich noch nie nachgedacht, nicht mal im Spaß oder im Halbschlaf oder im Alptraum. Ich werde es aber tun und Ihnen dann also bei Gelegenheit ohne Scheu drei verschiedene Antworten geben. Rilkes Grabstein-Rose, die Lust also »Niemandes Schlaf zu sein unter so viel Lidern«, könnte für mich doch ein Schlaf sein, denn ich bin einer vom Stamme des »Niemand«, gefangen Êin der Höhle des einäugigen Riesen Polyphem.

Artikel vom 14.04.2007