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Guten Morgen

Die Tafel-Ode


Wenn Heinz in der Stadt spazieren geht - und das kann man in Herford sehr gut, weil die Fußgängerzone so schön lang ist -, dann stolpert er buchstäblich immer wieder über eine große weiße Holztafel, die ganz verloren unter einem Baum vor dem früheren Kaufhof liegt. Dorten ruht die Tafel schon seit Monaten, verharrt in Bewegungslosigkeit, in Stille, stellt ihrer ganze Pracht regungslos zur Schau. Menschen ziehen indes an ihr vorbei, flanierend oder emsigen Schrittes eilend, bepackt mit Plastiktüten. Hin und wieder streift ein neugieriger Blick die Tafel, die nicht erkennen lässt, welche Schrift sie einst zierte, weil sie mit der Oberseite nach unten fiel, als sie vom Winde verweht oder von Stumeshand gefällt wurde. Heinz, der des hingeschlagenen Elends überdrüssig ist, hat eine Tafel-Ode (oder eine Ode an die Tafel) verfasst:
Freude, schöner Götterfunken,
Holzwerk aus Elysium,
wir verweilen feuertrunken,
ganz gebannt in deinem Reich.
Mögest du auch lange schon
gestürzest sein von edlem Thron.
Holz verwittert, Holz zersplittert,
bald bist du bestimmt geteilt,
alle Menschen werden Zeugen,
wie die Zeit rasch weiter eilt.
Werden wir es jemals wagen,
dich einfach hinfort zu tragen?
Noch bist du uns ganz getreu.
Liege weiter, toi, toi, toi...
Curd Paetzke

Artikel vom 14.04.2007