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Furcht erregender Riss in einem High-Tech-Gebäude

»Völlig harmlos«, aber Beteiligte klagen vor Gericht

Von Hubertus Hartmann (Text)
und Wolfram Brucks (Foto)
Paderborn (WV). Architektonisch ein Hingucker, bauphysikalisch ein High-Tech-Gebäude. Störend wirken nur ein gut vier Meter langer Riss in der Fassade und darunter zwei Baumstämme, der das Gebäude scheinbar vor dem Einsturz schützen.

Besucher der Firma Hesse & Knipps Semiconductor Equipment in Paderborn bleiben verdattert stehen und zögern, das Firmengebäude zu betreten. Es sieht furcht erregend aus, ist angeblich aber »völlig harmlos«, wie Architekt und Geschäftsführung übereinstimmend beteuern.
Diese Einschätzung der »Gefahrenlage« ist das Einzige, war Planer und Bauherren noch verbindet. Ihr Verhältnis hat einen weit tieferen Riss als das Mauerwerk bekommen. Sie verklagen sich gegenseitig und streiten nun vor Gericht.
Die Firma Hesse & Knipps entwickelt Fertigungsmaschinen für die Halbleiterindustrie. Eine technisch hochkomplizierte Angelegenheit. Weil schon geringe Temperaturschwankungen zu Problemen führen, brauchte das Unternehmen ein energetisch ausgereiftes Gebäude. Der Schloß Neuhäuser Architekt Klaus Farrenschon konzipierte das Projekt mit wärmedämmendem Mauerwerk und speziellen Dämmstoffen. Vor etwa zwei Jahren wurde das weitgehend freitragende rund 900 000 Euro teure Gebäude mit darunter liegender Tiefgarage fertig gestellt.
»Aber schon nach ganz kurzer Zeit zeigte sich dieser hässliche Riss«, berichtet die technische Geschäftsführerin Susanne Richter. »Ein ganz klarer Baumangel, für den der Architekt verantwortlich ist.« Von ihm will die Firma deshalb Schadenersatz. Grund zur Besorgnis bestehe allerdings nicht, versichert Richter. Das habe ein Gutachter bestätigt. Die 80 Mitarbeiter seien nicht in Gefahr. »Wir können den Riss jedoch nicht beseitigen, so lange die Angelegenheit nicht geklärt ist.« Die Holzstütze sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit sich der Riss nicht vergrößere. »Die ganze Angelegenheit ist natürlich ärgerlich und bitter für uns.«
Für den Architekten nicht minder. »Völlig harmlos, eine absolute Lappalie«, betont Klaus Farrenschon. Er verlangt von Hesse & Knipps sein noch ausstehendes Honorar. »Wegen der ausstehenden Zahlung habe ich meine Tätigkeit niedergelegt. Sonst hätte ich längst einen Maurer hingeschickt, und der Riss wäre in einem halben Tag verschwunden gewesen.«
Als Ursache vermutet der Bauingenieur Materialermüdung beim Rundstahl. Auf die Standfestigkeit habe das keinen Einfluss. »Die Statik habe ich total auf Nummer sicher gerechnet.« Sie sei geprüft und ohne Beanstandungen genehmigt worden.
Farrenschon hat zahlreiche Großbauwerke in ganz Deutschland entworfen, unter anderem die Städtische Galerie in Paderborn. »Ich habe schon für Gott und die Welt gebaut«, sagt er. »Seit 50 Jahren produziert unser Büro Spitzenleistungen, doch so etwas wie hier ist mir noch nie widerfahren.«
So wird die hölzerne Architekturstütze wohl weiterhin für Kopfschütteln sorgen und der Riss im Mauerwerk die Justiz noch einige Zeit beschäftigen.

Artikel vom 10.04.2007