10.04.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mit Tiefsinn ins Absurdistan

Gelungener Auftakt der »Rauchzeichen«-Kabarettreihe im Universum


Von Rainer Grotjohann
(Text und Fotos)
Bünde (BZ). Er gibt den »Normalo«, den Kölner Vorstadt-Proll und den quengeligen Altlinken, schlüpft in Sekundenschnelle von einer Rolle in die nächste, setzt knallig-witzige Kontraste fernab des Schenkelklatscher-Humors: Robert Griess. Der Newcomer in der Kabarettszene hat zum Saisonauftakt der »Rauchzeichen«-Reihe im Universum Punkte gesammelt. Vor einem knapp 70-köpfigem Publikum, das ihn und das Damen-Duo »Top Sigrid« sehen und hören wollte. Bereut hat die Investition von elf beziehungsweise 14 Euro für die Eintrittskarte am Abend des Ostersamstags wohl niemand.
Griess widmet sich der Alterspyramide in unserem Land, in dem es »mehr Altersheime als Kindergärten, mehr Schaukelstühle als Schaukelpferde gibt« und in dem das Elternsein der sicherste Weg in die organisierte Armut sei. Und in dem Hausmänner/Väter auf der Spielplatz-Bank scheel angesehen werden. Da sitzt er nun mit dem frustierten Altlinken (Herr Schober) und dem prolligen Herrn Stapper. Der bezieht Hartz 4 und arbeitet schwarz. Seine Art der Revolte: einmal pro Woche Reiche ärgern. Bevorzugte Opfer: Unternehmensberater-Gattinnen im Bio-Laden. »Wer glaubt, dass Unternehmensberater Unternehmen beraten können, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten«, schwallt Stapper im köllschen Dialekt. Und Schober versucht verzweifelt, ihn auf den rechten Weg zu führen, zu den wahren Problemen dieser Gesellschaft. Etwa, dass das Christentum Auslöser der Klimakatastrophe ist.
Robert Griess ist neu ium Geschäft, das Lampenfieber hat er noch nicht abgelegt. Aber im Wettstreit um den am Jahresende zu vergebenden Publikumspreis, die »Bünder Zigarre«, hat er sich deutlich mehr als einen Stumpen verdient.
Für den Preis will das Duo »Top Sigrid« alles geben, wie es dem Publikum sofort mitteilt. Den Kampf um die eigene Existenz haben die beiden Schauspielerinnen zum Programm gemacht. Singen, tanzen, musizieren - »wir können alles«, behaupten die jungen Damen. Und gestehen auch gleich, dass sie das alles eigentlich nicht können. Und dieses Nichtkönnen zelebrieren sie so verzweifelt-gekonnt, so Mitleid heischend, dass sie das Publikum nach kurzer Irritation schnell auf ihrer Seite haben. Im Kampf der Künstlerinnen mit der Agentur für Arbeit, gegen die sie eine Breitseite nach der anderen abfeuern. Zum Abschluss landet die wahnwitzige Revue endgültig in Absurdistan - in einem Motivationsseminar von Arbeitsvermittlerinnen. Die sollen Jobsuchende, die wegen Verstößen gegen Hartz-4-Regeln Jahrzehnte im Knast gesessen haben, den Weg zur Arbeit ebnen - die es allerdings nicht gibt.
Da bleibt so mancher Lacher im Hals stecken. Ein gewöhnungsbedürftiges Programm, das die beiden Frauen präsentieren - aber eines mit sehr viel Tiefgang.

Artikel vom 10.04.2007