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Eine Entscheidung für das Leben

»Hitlerjunge Salomon« Sally Perel erzählt Jugendlichen seine Geschichte

Brackwede (sw). Wie eingemeißelt hat sich die Erinnerung. Daran, wie er im Dezember 1943 auf der Suche nach seinen Eltern mit der Straßenbahn durch das Ghetto in Lodz fuhr. Daran, wie er ausgehungerte und eingefrorene Leichen sah. Und daran, wie kreativ er sein musste, um seine wahre Identität zu verbergen. Von all dem berichtete Sally Perel den Schülern der Gesamtschule Rosenhöhe.

Seine Erinnerungen hat der heute 82-Jährige in dem Buch »Ich war Hitlerjunge Salomon« niedergeschrieben. Darin schildert er, wie er unter dem Namen Joseph Perjel drei Jahre lang in der Elite-Schule Adolf Hitlers in Braunschweig alles mitmachte, ohne als Jude enttarnt zu werden. Sally behauptet auf Nachfrage, »Volksdeutscher« zu sein - eine Ausrede, die ihm das Leben gerettet hat.
Mucksmäuschenstill ist es in der Aula, als Perel - heute glücklicher Familien- und Großvater - seine Lebensgeschichte erzählt. 300 Schüler der Klassen neun bis elf lauschen bewegt, als der 82-Jährige erklärt, warum er heute durch deutsche Schulen zieht: »Ich wünsche mir und hoffe, dass mein Zeitzeugenbericht in der Seele bleibt und zum Auftrag wird. Ihr sollt die Zeitzeugen werden. Überliefert meine Geschichte an eure Kinder. Jede Generation soll sich so fühlen, als ob die die Schrecken des Krieges und des Holocaust miterlebt hätte«, wendet er sich direkt an die jugendlichen Zuhörer. »Jeder Mensch kann die Welt zerstören - aber jeder Mensch kann sie auch besser machen. Wir müssen gemeinsam etwas Besseres schaffen.«
Er schaue angesichts seines Alters weniger voraus, dafür mehr zurück. Den Jugendlichen die Botschaft zu überbringen, gegen den Rechtsradikalismus und für die Achtung der Menschenwürde zu kämpfen, ist Perel nach Brackwede gekommen. Um zu verzeihen, ist er aber nicht da: »Ich habe der Jugend nichts zu verzeihen, weil die Jugend sich nicht schuldig gemacht hat. Sie ist nicht verantwortlich für diese unfassbaren Verbrechen der damaligen Generation. Schuld ist nicht erblich.« Aber, so seine Warnung an die Gesamtschüler: »Ihr alle werdet euch schuldig machen, wenn so etwas wieder passiert.«
Wunden seien geblieben, aber er führe heute ein glückliches Leben, erzählt Perel. Als er damals deutschen Soldaten gegenüberstand, die ihn nach seiner Identität fragten, musste er lügen: »Ich habe mich für das Leben entschieden.« Das Recht auf Leben stehe über der Religion. »Das Leben ist das Allerheiligste. Keine Religion darf verlangen, sein Leben zu opfern«, betont Perel, der heute in Israel lebt. Er würde alles noch einmal so machen wie damals: »Sonst würde ich heute hier nicht sitzen. Ich habe alles richtig gemacht.«

Artikel vom 03.04.2007