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Vom Sozialismus enttäuscht

Kurt Müller siedelte 1957 in die DDR über und durfte 1975 ausreisen

Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Ein defekter Dynamo und die Behauptung, dass man in der DDR nur Mist kaufen könne, reichten aus: Aus der Radfahrt im Dunkeln wurde sechs Wochen Knast wegen Staatsverleumdung. Nachzulesen ist diese Episode im neuen Buch des Autors Kurt Müller. Es ist die Abrechnung mit einem Staat, in den er 1957 aus freien Stücken übergesiedelt war.

Kurt Müller, der nach Wohnsitzen in Dessau und Herford in seine Heimatstadt Bad Salzuflen zurückgekehrt ist, stammt aus einem kommunistischen Elternhaus. Als überzeugter Marxist wollte der damals 24-Jährige zum Aufbau des Sozialismus beitragen, doch wurde er schnell ernüchtert. Müller begann eine Arbeit als Dreher und sah dort viele Mitarbeiter, die mit Parteiabzeichen herumliefen: »Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass es in den Betrieben nur so von Heuchlern und Karrieristen wimmelte, die nur in die Partei eingetreten waren, um voranzukommen.«
Zum endgültigen Vertrauensverlust führte der Bau der Mauer. An die Stelle von Überzeugungen waren Floskeln getreten, schnell verloren die Machthabenden jegliche Glaubwürdigkeit: »Die völlige Unterordnung unter die Politik der Sowjetunion nahm gelegentlich groteske Züge an und wurde mit den absurdesten Argumenten gerechtfertigt.« Immerhin fand Müller Anschluss an einen »Zirkel Schreibender Arbeiter«. Weil die Distanz zum System damals schon groß war und der Mann aus Bad Salzuflen keine Publikationschancen erwartete, verzichtete er auf das Schreiben von Büchern. Gespeichert hat er die Ereignisse von damals aber doch. So die Vorkommnisse der Titelerzählung »Der Reiseantrag«, in der eine Tochter ihre schwerkranke Mutter im Westen ein letztes Mal sehen will - vergebens. Noch nicht einmal an der Beerdigung darf sie teilnehmen. Dabei erfährt die Tochter, dass das Volkspolizeikreisamt sogar weiß, dass sie im Westen eine Cousine hat, die sich um die Nachlass-Regelung kümmern kann. Die Erzählung endet mit den Worten: »Ich werde bespitzelt, dachte sie, als sie die Treppen hinunterging, und irgendjemand aus dem Haus oder der Nachbarschaft hat mich verleumdet. Aber wer?«
Nach 18 Jahren Diktatur konnte Müller die DDR verlassen. Die ersten Jahre wohnte er in Herford, später zog er nach Bad Salzuflen, wo er seine zweite Ehefrau heiratete. Seine erste Ehe war in die Brüche gegangen, weil die Frau in der DDR bleiben wollte.
Mittlerweile betrachtet Müller die von ihm einst abgelehnte Bundesrepublik mit »durchweg positiven Gefühlen«. Zwar sei nicht alles gut, aber: »Ich kenne keine bessere Gesellschaftsordnung.«

Artikel vom 31.03.2007