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Eine »Kinderschutz-Katastrophe«

Wertheraner Rechtsanwalt prangert Verhältnisse in der Jugendhilfe an

Werther (Felix). 180 Kinder, die jährlich von ihren Eltern so schwer misshandelt werden, dass sie schließlich an den Folgen sterben, sind Georg Ehrmann zu viel. Der Rechtsanwalt aus Werther ist Vorsitzender der »Deutschen Kinderhilfe Direkt«. Am Dienstagabend referierte er in der St. Michael-Kirche über Schwachpunkte und Verbesserungsmöglichkeiten des deutschen Jugendhilfe-Systems.

Ansätze zur Verbesserung nämlich sieht der 40-Jährige einige. Vor allem durch finanzielle Zuwendungen. »In Berlin ist der Haushalt für die Kinder- und Jugendhilfe um 25 Prozent gestrichen worden«, führte Ehrmann Zahlen an. »In der Bundesrepublik insgesamt ist der Etat seit dem Jahr 2000 um 15 Prozent eingedampft worden«. Selbst engagierteste Jugendamtsmitarbeiter sähen angesichts dieser Sachlage alt aus, wenn es um die Ausübung ihres staatlichen Wächteramtes gehe. Doch bei 150 Fällen, die ein einziger Mitarbeiter zu bewältigen habe, kann, so Ehrmann, von Einzelfallhilfe auch keine Rede mehr sein.
»Allein in Nordrhein-Westfalen werden jährlich 900 Misshandlungen zur Anzeige gebracht«. Die vom Jugendforscher Klaus Hurrelmann ermittelte Zahl von 10 000 Kindern, die unter den Folgen von Gewalt und Vernachlässigung leiden, hält der Rechtsanwalt für zu kurz gegriffen, denn: »Jährlich werden allein in NRW 8000 Kinder vom Jugendamt aus den Familien heraus genommen«. Noch aber, so Ehrmann, sei die »Kinderschutz-Katastrophe« kein gesellschaftspolitisches Thema, das die Politiker auch zum Handeln bewege. »Eisbären und Glühbirnen genießen bei den Politikern größere Aufmerksamkeit«.
Es sei das Instrumentarium, das eben nicht funktioniere, so der Rechtsanwalt. Dabei sieht er durchaus Lösungsmöglichkeiten, um den Schutz der potenziell betroffenen Kinder zu verbessern: »Wir müssen auf die Familienzentren setzen und flankierend Vorsorge-Untersuchungen zur Pflicht machen«, schweben ihm dabei durchaus auch Maßnahmen wie in Finnland vor, wo die Auszahlung des Kindergeldes an die regelmäßige Teilnahme der U-Untersuchungen gekoppelt ist. Einen weiteren Schritt sieht er in der Qualifikation der Kinderärzte, Problemfälle richtig zu erkennen. Und er schonte seine Zuhörer am Dienstagabend nicht, konfrontierte sie zur Untermauerung der Dringlichkeit seines Anliegens mit Aufnahmen misshandelter Kinder.
Suzanne Kruschwitz erläuterte den Interessierten in der katholischen Kirche die Arbeit des von ihr geleiteten Frühchen-Projektes. »Wir arbeiten bundesweit mit Frühgeborenenstationen an den Uni-Kliniken in Berlin, Hamburg, Heidelberg, Leipzig und München zusammen«. Hier gehe es vor allem darum, als Verbindungsperson auf den Stationen zu fungieren. »Wir versuchen, Beziehungen zu den Eltern aufzubauen, die in einer besonders stressigen Lebenssituation stecken und die durch die frühe Trennung von den Säuglingen keine stabilen Bindungen zum Kind aufbauen«. Im Anschluss an den Vortrag nutzten die Besucher die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Artikel vom 29.03.2007