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Erst das Fressen,
dann die Moral

Gefeierte Brecht-Oper in Hamborn

Von Hans-Joachim Chollet
Borchen (WV). Rüdiger Schulz und Torsten Brandes (als musikalischer Leiter) führten die Abschlussklassen der Rudolf-Steiner-Schule Schloss Hamborn am Freitag in der vollbesetzten Festhalle bei der Premiere der »Dreigroschenoper« zu einem umjubelten Erfolg.

Kurt Weills theaterwirksame Musik meidet das Opernhafte und setzt auf Vereinfachung an Stelle des Komplizierten, indem ausschwingender Gesang durch zupackende Songs ersetzt wird. Diese Songs mit ihrer bohrenden, hypnotisierenden Monotonie kommen den jungen Stimmen entgegen, die durch Ausdruck und Gestaltungswillen fehlendes Volumen ersetzen.
Das dreiaktige »Stück mit Musik« in acht kaum veränderten Bildern schildert das Schicksal des Gangsterchefs Macheath, auch Macky Messer genannt, im London des 18. Jahrhunderts, und bei dieser anspruchsvollen schulischen Aufführung wird der sozialkritische Aspekt unübersehbar und unüberhörbar herausgearbeitet. Brecht hat sich zwar an John Gays »Beggar's Opera« von 1728 orientiert, aber mit Texten von Villon und Kipling seine Fassung für die Zwanziger Jahre aktualisiert und mit agitationssicheren gesungenen Wahrheiten garniert: »Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm« oder »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«.
Weills Original-Acht-Mann-Orchester haben die Hamborner auf 25 Instrumentalisten ausgeweitet, sie betonen die lyrischen Momente und erfinden erfrischende Rhythmisierungen, und weil der Gitarrist an diesem Abend eigentlich Geburtstag feiert, gibt es nach der Pause der dreieinhalbstündigen, etwas überdehnten Aufführung gleich noch ein auch das Publikum einbeziehendes Ständchen.
Erfreulich die deutliche Aussprache der Mitwirkenden in ihren charakterisierenden Kostümen: Schon zu Anfang Milena Stolzenburg und Jakob Völkel als Moritatensänger, die mit dem »Macky-Messer-Song« für die Einstimmung sorgen, aber vor allem Lucas Illner als Macheath füllt souverän und nicht nur stimmlich präsent seine Hauptrolle aus.
Auch Demian Kleinert als kaltherziger Bettler-Chef Peachum glänzt mit komödiantischen Kabinettstückchen bei der Vorstellung seiner »fünf Grundtypen des Elends«. Anne Sophie Haas als seine Tochter Polly, Elisabeth Jacobsen als ihre Konkurrentin Lucy und die »Spelunkenjenny« Gisa Schleef wissen sich gekonnt in Szene zu setzen. Es ist Leben auf der Bühne mit der vorspringenden »Gesangsbastei«, es gibt Zwischenapplaus, die Mitwirkenden genießen den Wechsel zwischen der raubatzigen Sprache des gesellschaftlichen Bodensatzes und der aufgesetzten Höflichkeit der angestrebten »besseren Kreise« und sind in den Finali alle eindrucksvoll beteiligt.
Eine sehens- und hörenswerte Aufführung in Schloß Hamborn, die heute (19.30 Uhr) noch ein Mal zu erleben ist.

Artikel vom 26.03.2007