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»Als Rentner kann ich selbstbestimmt leben«

Henning Scherf liest und plaudert über Hausgemeinschaft, Englischstunden und Demographie

Von Eva Brinkmann
Höxter (WB). Das Rednerpult ist nicht Sache Henning Scherfs. Der ehemalige Bremer Bürgermeister bevorzugt einen Tisch, um im Historischen Rathaus aus seinem Buch »Grau ist bunt - Was im Alter möglich ist« zu lesen. Und er setzt sich nicht etwa daran, sondern darauf.

Vital, volksnah und jungenhaft-charmant, so erlebten die zahlreichen Zuhörer den einst führenden SPD-Politiker, der einer Einladung der Buchhandlung Henze gefolgt war. Der 68-jährige Ruheständler ließ es sich nicht nehmen, jeden Besucher persönlich mit Handschlag zu begrüßen. Nach Höxter ist der Bremer, der während seiner Amtszeit stets mit dem Fahrrad zum Rathaus fuhr, natürlich mit der Bahn gereist, lernte so auch Bodenfelde und Ottbergen kennen und bemerkte: »Das ist ein schönes Fleckchen Erde, in dem Sie leben.«
In seinem autobiografisch geprägten, sehr persönlichen Buch setzt sich Henning Scherf mit dem Prozess des Alterns und verschiedenen Modellen des Lebens im Ruhestand auseinander. »Alter wird überwiegend als Angst- und Panikthema vermittelt. Ich möchte den Menschen Mut machen und sie hinter dem Ofen hervorlocken«, verriet er über seine Intention beim Schreiben.
Er selbst hat das ungewöhnliche Modell einer Hausgemeinschaft gewählt, das bereits seit 19 Jahren gut funktioniere. Da springe jeder für jeden ein, wenn zum Beispiel ein gebrochenes Bein die Mobilität einschränkt. Und man drohe nicht zu vereinsamen. »Andere gehen in die Kneipe, ich gehe durchs Haus«, schrieb Scherf über die Zeit, als seine Frau längere Zeit im Ausland war.
»Erst jetzt als Rentner kann ich selbstbestimmt leben, in Engagement für andere und für mich selbst«, bekannte Scherf. So erlerne er nun das Orgelspiel und die Aquarell-Malerei, frische sein Englisch auf, gehe jede Woche für eine Stunde in eine Grundschule, um vorzulesen. Auch ist er Mit-Organisator des Kirchentages 2009 in Bremen.
Im Anschluss an die Lesung nahm sich Scherf viel Zeit für Fragen der Besucher. Sein Buch widme sich »dem ganz großen Thema unserer Zeit«, sagte er dem WESTFALEN-BLATT. »Denn es dauert nicht mehr lange, dann sind die Alten in der Mehrheit.« Schon jetzt bildeten vor allem die 60- bis 69-Jährigen mit ihrem sozialen Engagement »das Herzstück der Zivilgesellschaft«.
Der Erlös aus dem Buchverkauf kommt der Organisation »Pan y Arte« zugute, die in Nicaragua Kulturprojekte realisiert und deren Vorstandsvorsitzender Henning Scherf ist.

Artikel vom 23.03.2007