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»Scheuen den Vergleich nicht«

51 Gymnasiasten vorm Zentralabitur - Kritik an ungerechter Terminlage

Von Marco Purkhart
Werther (WB). Freitag, 13 Uhr im Evangelischen Gymnasium: Mit einem USB-Stick bewaffnet schreiten Barbara Erdmeier und Ulrike Schilling zum PC. In den folgenden Minuten laden sich die Schulleiterin und ihre Stellvertreterin von einer Internetseite der Landesregierung hochgeheime Informationen herunter, um die sie Lehrerkollegen und 51 Prüflinge an diesem Wochenende gleichermaßen beneiden: die Aufgaben des ersten NRW-Zentralabiturs.

Nach dem Vier-Augen-Prinzip drucken die beiden Pädagoginnen für jeden Schüler ein Aufgaben-Set aus, verpassen dem Material ein Siegel und lassen es m sicheren Tresor verschwinden. »Wir dürfen über Inhalte kein Sterbenswörtchen gegenüber Dritten verlieren«, fiebert Barbara Erdmeier dem Moment der Erlösung für alle Beteiligten am Montagmorgen entgegen, wenn der Prüfungsstartschuss im Fach Deutsch fällt.
Doch wer steht mehr unter Druck: Schüler oder Lehrer? »Uns Schülern kann es eigentlich egal sein. Für uns ist es ohnehin das erste und hoffentlich einzige Abitur unseres Lebens«, gilt für Gymnasiastin Anna Johanning das Motto: »Abi ist Abi.« Auch ihre Mitschülerin Pia Große-Gödinghaus stellt lediglich in Frage, ob das neue System ausgereift ist und den unterschiedlichen Bildungsniveaus verschiedener Regionen gerecht wird: »Aber auch da können wir ja nur ergebene Versuchskaninchen sein. Wir lassen uns einfach überraschen.«
Gestandene Lehrkräfte wie Sabine Dieckmann stehen hingegen vor einer völlig neuen Situation. Zehn Jahre lang genoss die Deutschlehrerin die Möglichkeit, Abi-Klausuren selber zu entwerfen und einzureichen. »Dadurch konnte man Schwerpunkte setzen. Doch das ist leider vorbei«, sieht Dieckmann sich ihrer Gestaltungsmöglichkeiten beraubt. Damit ihre Schüler am Montag mit einer der vier zur Wahl stehenden Deutsch-Aufgaben ins Schwarze treffen, habe Sabine Dieckmann in den vergangenen beiden Jahren jeden erdenklichen Lernstoff-Bereich »durchgepowert«. Ihr Fazit: »Mehr Wissen wird verlangt - aber eine breitere Bildung entsteht dadurch nicht. Der Unterricht verliert sogar an Tiefgang, weil vieles nur noch recht oberflächlich angerissen werden kann.« Auch individuelle Themenwünsche der Schüler, auf die am Gymnasium Werther immer viel Wert gelegt worden sei, kämen künftig zu kurz.
Schulleiterin Barbara Erdmeier kritisiert vor allem die neue Terminverteilung: »Früher haben entweder alle Schüler vor oder alle nach den Osterferien geschrieben. So hatte jeder die gleiche Vorbereitungszeit.« Die neuerdings landesweit geltenden Klausurtermine würden nun jedoch zu einer Schieflage führen: »Wenn jemand Deutsch, Englisch und Pädagogik-Grundkurs als Prüfungsfächer gewählt hat, muss er in der nächsten Woche drei Klausuren schreiben, während andere vor den Ferien nur einmal dran sind. Das ist hochgradig ungerecht.«
Gleichwohl kann Barbara Erdmeier der neuen Abiturform auch Positives abgewinnen. »Zum einen werden bei unseren Lehrern in Zukunft neue Kapazitäten frei, weil sie sich nicht mehr wochenlang um Klausurvorschläge kümmern müssen.« Zum anderen schaffe die Zentralisierung eine leistungsfördernde Vergleichbarkeit zwischen Regionen, Schulen und auch Lehrern. »Ein Vergleich, den wir in Werther keineswegs scheuen«, betont Erdmeier.

Artikel vom 24.03.2007