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Lübbecker zeigen Courage

Junge Seminargruppe testet Hilfsbereitschaft von Passanten

Von Julia Kleinschmidt
Ahlsen-Reineberg/Lübbecke (WB). Auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes: Eine junge Frau fühlt sich von mehreren Jungs bedroht, die sich vor ihrem Auto aufgebaut haben. Sie spricht einen Passanten an, und bittet ihn, sie zu ihrem Wagen zu begleiten. Aber wie reagieren die Leute? Um das herauszufinden, hat eine Gruppe Seminarteilnehmer in Lübbecke ein Experiment gewagt.

Es sind rund 20 junge Leute aus dem Großraum Westfalen, die alle derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Trägerschaft der Diakonie absolvieren. Im Rahmen des Begleitprogramms beschäftigen sie sich in der Tagungsstätte Haus Reineberg eine Woche lang mit dem Thema Gewalt und Aggression. »Wir möchten das bürgerschaftliche Engagement testen, haben uns aber bewusst keine Prügel- oder Pöbelszene ausgesucht«, erklärt Stefan Kaiser, der das Seminar gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Anders leitet. Die psychische Gewalt war es, die die jungen Leute in den Mittelpunkt des Testes gerückt haben.
Für die gestellte Szene stellten sich die 20-jährige Anna aus Bad Salzuflen und der gleichaltrige Marcel aus Bielefeld wechselweise als Opfer zur Verfügung. Christoph (21), Jeffrey (18), Jakob (20) und Sebastian (20) mimten die vermeintliche Tätergruppe. Felix (20) übernahm es dann, die Passanten im Anschluss an die Aktion über die Hintergründe aufzuklären und nach ihrer Motivation zu fragen.
Ihre Erwartungen mit Blick auf die Hilfsbereitschaft hatten die jungen Leute im Vorfeld ziemlich heruntergeschraubt.
Umso überraschter zeigten sie sich nach 15 »Testläufen« über die positive Resonanz und Hilfsbereitschaft in Lübbecke. »Wir sind davon ausgegangen, dass die Passanten dem Mädchen eher helfen werden als einem Jungen«, erklärt Marcel. Auch sei man davon ausgegangen, dass die Passanten, wenn überhaupt, sofort die Polizei informieren würden.
Aber: »Von 15 angesprochenen Passanten sind elf auf die Problematik eingegangen und haben zugehört. Neun davon haben sogar ihre Hilfe angeboten und wollten die Betroffenen zum Wagen begleiten«, zeigt sich Felix hoch erfreut. Nur vier lehnten direkt ab.
»Mir haben von sechs angesprochenen Personen vier geholfen, darunter drei einzelne Männer und eine Gruppe Jugendlicher«, bilanziert Marcel. »Eine Gruppe von drei Männern hat dagegen nicht geholfen.«
»Ein älteres Ehepaar, das mir geholfen hat, hat sogar unserer Aufklärung hinterher nicht geglaubt und mich sicherheitshalber fest untergehakt«, erzählt Anna, selbst positiv überrascht. Nach ihren Motiven befragt, hätten viele Passanten angegeben, die Öffentlichkeit hätte sie sicher gemacht, so dass sie keine Scheu gehabt hätten zu helfen. Notfalls, so gaben einige an, hätten sie auch noch die Polizei gerufen.
Möglicherweise spiele bei der positiven Resonanz jedoch auch der ländlich geprägte Raum eine Rolle, vermuten die Seminarteilnehmer. In der Atmosphäre einer anonymen Großstadt würde ein solcher Test möglicheweise anders ausgehen, denken sie.

Artikel vom 23.03.2007