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Ein Körper bekommt Seele

Individuelles Wohnen nimmt hohen Stellenwert ein

Bad Oeynhausen (WB). Ohne Visionen wäre die Zukunft ärmer. Und das Wohnen langweiliger. Um sein Umfeld lebendig zu gestalten und auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen, braucht es einen Experten. Fachfrau für Bauen und Wohnen ist Annette Kreutzmüller. In ihrem Planungsbüro in Werste entwickelt sie Konzepte für ein Zuhause zum Wohlfühlen. Die 49-Jährige hat sowohl Architektur als auch Innenarchitektur studiert und sich seit Jahren mit individuellem Wohnen und neuen Wohnformen auseinandergesetzt. Das WESTFALEN-BLATT wollte von ihr wissen, wie man in seinem Wohnumfeld Funktionalität und Ästhetik in Einklang bringen kann. Mit ihr sprach WB-Redakteurin Bärbel Hillebrenner.

»Deutschland spart sich weg« - diese Behauptung liest man immer wieder. Sind Sie der gleichen Meinung?
Auf dem privaten Sektor wird ja derzeit viel gebaut. Die Zinsen sind schließlich so niedrig wie nie. Ob auch im Arbeitsumfeld gespart wird, liegt natürlich an den Unternehmen selbst. Eine Firma, die in ihre Arbeitsstätte investiert und neben den optimalen Funktionen auch den Wohlfühlfaktor berücksichtigt, hat Mitarbeiter, die sich mit der Firma viel eher identifizieren. Sie sind motivierter und engagierter. Arbeitsräume sind Lebensräume!

Architektur hat also eine große Wirkung auf den Menschen?
Natürlich! Architektur erzieht auch. Ein Beispiel: Bei einem Großraumkino ist der Raum technisch, kühl, anonym und auf Masse gepolt. Ein Programmkino spricht den Menschen viel individueller an. Es ist gemütlich, ausgesucht, persönlich.

Kann man den Zusammenhang von Architektur und Erziehung auch auf das private Umfeld übertragen?
Unbedingt! In einer Plattenbausiedlung kann sich der Bewohner nicht mit seinem Wohnumfeld identifizieren. Er lebt dort allein, anonym, übernimmt meist keine Verantwortung.

Das ist in unseren Neubausiedlungen aber doch anders, oder?
Nun, ich behaupte, dass in einer Neubausiedlung, in der die Häuser einzeln für sich stehen, keine Nachbarschaft gelebt werden kann. Wenn ich meinem Nachbarn in sechs Metern Entfernung ins Fenster sehen kann, dann ist es doch verständlich, dass man sich abschotten möchte. Dann kommen hohe Hecken und Jalousien zum Einsatz.

Welche Vorstellungen haben Sie von der Struktur einer Siedlung?
Beispiele für verdichtete Bebauung mit hoher Wohn- und Lebensqualität sind mir aus Holland und Dänemark schon seit drei Jahrzehnten bekannt. Ein Wohnhof, eine Mischung aus jungen und alten Bewohnern, große und kleine Wohneinheiten, Treffpunkte. Schauen Sie in die Neubausiedlung am Schwarzen Weg: Da leben die Menschen miteinander und identifizieren sich mit ihrem Wohnumfeld.

Den Traum vom eigenen Haus möchten sich viele Menschen erfüllen. Gibt es Besonderheiten, die man berücksichtigen sollte?
Familien mit Kindern sollten daran denken, dass sich der Raumbedarf ändert, sobald die Kinder erwachsen sind und aus dem Haus gehen. Lieber von Anfang an kleinere Einheiten schaffen und spätere Veränderungswünsche einplanen.
Auch an das eigene Alter sollte man denken. Was für einen jungen Menschen komfortabel ist, ist für einen alten Menschen notwendig. Da braucht man vielleicht später eine Rampe, einen Aufzug, breitere Türen und bodengleiche Duschen. Barrierefreiheit ist das Stichwort. Ein guter Architekt wird das bei der Planung berücksichtigen.

Für solche Extrawünsche muss man aber doch mehr investieren. Das schreckt dann möglicherweise Bauherren ab.
Es geht doch um ein lebens- und liebenswürdiges Wohnen für alle Generationen. Jeder möchte doch so lange es geht in seinem eigenen Haus wohnen bleiben. In anderen Familien zum Beispiel wohnen gleich mehrere Generationen unter einem Dach. Jeder muss sich selbst die Frage beantworten: Was ist mir mein Wohnen wert? Natürlich muss man auch seinen Geldbeutel im Auge haben, das ist doch klar. Aber es gibt verschiedene öffentliche Programme, die Fördermittel zur Verfügung stellen.

Der Mensch sehnt sich nach Sicherheit und Geborgenheit. Das betrifft sein Haus, ob Neu- oder Umbau. Sie sind aber auch Innenarchitektin. Sie wissen also, dass Wohnen nicht bei der äußeren Hülle aufhört.
Die Architektur, das Haus, ist der Körper. Der Raum innen ist die Seele. Beides gehört zusammen. Man kann von außen ein schönes Haus haben. Geht man aber durch die Tür, sollte man seine Persönlichkeit wiederfinden.

Woran erkenne ich das?
Funktionalität geht einher mit Ästhetik. Die eigenen Bedürfnisse gehen einher mit den Gefühlen. Zum Beispiel nimmt das so genannte »Homing« einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Dazu gehören kochen, essen, wohnen, sich wohl fühlen, entspannen.

Die Küche ist ja heute oft Mittelpunkt des Hauses. Dort trifft man sich. Auch ein Bad ist nicht mehr nur eine Nasszelle, oder?
Die Küche gewinnt an Bedeutung. Deshalb lege ich Wert darauf, ein detailliertes Konzept für eine Küche zu entwickeln. Das gleiche gilt das Bad. Da will man doch auch die Seele baumeln lassen, sich entspannen. Das erreicht man bei der Innengestaltung auch mit den unterschiedlichsten Materialien.

Auf welche Materialien sollte man also achten?
Natürliche Materialien wie Holz, Stein oder Lehmputz für die Wände vermitteln Gemütlichkeit. Gleichzeitig werden Schallschutz und die Akustik berücksichtigt. Kontraste dagegen erzeugen Spannung, auch das ist wichtig. Also: rauh und glatt, hart und weich, dunkel und hell. Diese Oberflächen zusammen vermitteln Lebendigkeit.

Wirkt das aber nicht schnell unruhig?
Nein, dafür braucht man aber ein gutes Konzept. Das ist auch für die Räume selbst wichtig: Hohe und niedrige Räume nebeneinander spiegeln wiederum Ruhe- und Bewegungsrzonen wider.

Artikel vom 31.03.2007