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Alles nur eine
Frage der
Perspektive

Down-Syndrom in Bewegung

Verl (WB). Bei Menschen mit Down-Syndrom (DS) ist das Chromosom 21 dreifach vorhanden. Die Wahl des 21. März als Datum für den Welt-Down-Syndrom-Tag ist also kein Zufall. Heute findet der Aktionstag, den die Internationale DS-Bewegung 2006 ins Leben gerufen hat, zum zweiten Mal statt. »Down-Syndrom in Bewegung« ist diesmal das Motto. Was damit gemeint ist und welche Ziele und Hoffnungen betroffene Familien mit dem Tag verbinden, darüber unterhielt sich Redakteurin Elke Hänel mit der Verlerin Franziska Röchter, deren Tochter Johanna (10) mit DS lebt und die sich im Arbeitskreis DS engagiert.

Frau Röchter, was soll der Welt-Down-Syndrom-Tag bewirken?
Franziska Röchter: Dieser Tag soll Menschen mit DS ins Gespräch bringen und in das Blickfeld der Öffentlichkeit rücken. Und nicht nur Menschen mit DS, sondern Behinderte allgemein, denn sie stehen noch immer am Rand der Gesellschaft. Dabei werden die Betroffenen oft nur durch die Gesellschaft in ihren Möglichkeiten be-hindert oder ge-hindert. Die Definition geht immer nur von den so genannten Nichtbehinderten aus, so dass Behinderung als Defizit gesehen wird. Jeder Mensch hat aber Defizite. Es ist normal, verschieden zu sein. Man kann die Eigenheiten des so genannten Behinderten auch als Ausdruck von Individualität sehen. Statt von Behinderung sollte man eigentlich von Teilleistungsschwächen sprechen. Oder mehr die Stärken in den Vordergrund rücken.

Wie ist das Motto »Down-Syndrom in Bewegung« gemeint?
Franziska Röchter: Es bedeutet, dass sich im neuen Denken über Behinderung weiterhin noch viel bewegen muss. Zum Glück hat sich ja schon einiges bewegt, wenn man bedenkt, wie in früheren Jahrhunderten mit behinderten Menschen umgegangen wurde: Da bekamen sie gar keine Chance zum Leben, im Mittelalter wurden sie als Kuriositäten ausgestellt oder im Nationalsozialismus getötet. Aber insbesondere geistig behinderte Menschen werden auch heute meist noch immer nicht als vollwertige Menschen angesehen.

Mit dem Tag verbunden ist eine Plakataktion. Was sollen die Plakate, die in vielen Verler Geschäften und Einrichtungen aushängen und auf denen Ihre Tochter Johanna sowie zwei weitere Jugendliche mit DS beim Sport zu sehen sind, bewirken?
Franziska Röchter: Die Plakate sollen ein realistisches Bild von Menschen mit DS vermitteln und helfen, Berührungsängste abzubauen. Sie sollen Toleranz und Akzeptanz vermitteln und eine Art »Werbung« für die Menschen sein, die von ihrer Umwelt in erster Linie als defizitär oder unzulänglich wahrgenommen werden. Außerdem tragen die Plakate vielleicht dazu bei, dass Menschen mit DS weniger neugierig angestarrt werden, wie es oft der Fall ist. Das Motiv auf dem Laufband ist zudem eine Art Vision: Vielleicht ist es ja irgendwann ein alltäglicher Anblick, dass Menschen mit DS ganz »normal« in einem Fitness-Studio trainieren.


Zumindest in Verl hat sich ja gerade in diesem Monat tatsächlich etwas bewegt: Der TV Verl hat eine Sportgruppe für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung gegründet.
Franziska Röchter: Darüber bin ich sehr froh. Dafür hatten sich ja einige Mütter seit dem vergangenen Jahr eingesetzt. Johanna und den anderen Kindern macht der Sport in der Gruppe sehr viel Spaß. Leider wird so etwas sonst meist nur in größeren Städten angeboten. Aber die Kinder haben in der Regel schon einen weiten Schulweg - Johanna etwa sitzt jeden Tag zwei Stunden im Bus -, hinzu kommen Fahrten zur Logopädie oder anderen Förderungen. Da möchte man nicht unbedingt auch noch wer weiß wie weit zum Sport fahren. Dabei ist es so einfach, den Kindern etwas zu bieten: Sie brauchen in der Sportstunde eigentlich nicht so viel anderes als andere Kinder - außer vielleicht ein bisschen mehr Hilfestellung -, sondern freuen sich, wenn sich liebe Menschen um sie kümmern, sie mit anderen zusammen sein und sich bewegen können. Leider sind aber die Auflagen für Sportvereine hoch.

Wie ist ansonsten das Freizeitangebot vor Ort?
Franziska Röchter: Es gibt bisher kaum Angebote. Dabei haben Kinder mit DS genau die gleichen Bedürfnisse wie jedes andere Kind: Spiel, Spaß und Lernen mit anderen.

Wenn Sie zum Welt-Down-Syndrom-Tag einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Franziska Röchter: Auf keinen Fall, dass Johanna ein anderes Kind wäre. Ich würde mir weniger normatives Denken wünschen und mehr Bereitschaft, im Anderen in erster Linie den Menschen zu sehen.

l Aus Anlass des Welt-Down-Syndrom-Tags verteilen die Buchhandlung »Pegasus« und die Bibliothek Verl Lesezeichen, auf denen ein Ausschnitt eines Gemäldes von Christoph Eder, österreichischer Künstler mit DS, zu sehen ist. Er wird heute in Anerkennung seines künstlerischen Schaffens mit dem »Goldenen Chromosom« ausgezeichnet.
In Verl findet zudem heute Nachmittag erstmals im Rathaus ein Empfang für Kinder und Erwachsene mit DS statt, zu dem Bürgermeister Paul Hermreck eingeladen hat.

Artikel vom 21.03.2007