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Mit Ohrenstöpseln im Radieschenhaus

Total hellhörig - Firma muss Wohnung zurück nehmen - vernichtendes Urteil für Neubau

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WV). Wenn die Waschmaschine im Badezimmer läuft, klirren im Wohnzimmerschrank die Gläser. Das Betätigen des Garagentores im Keller klingt zwei Stockwerke höher wie Donnergrollen. Ohrenstöpsel sind für Karin (66) und Werner Koch (68) zum besten Freund geworden.

Die Eheleute wohnen aber keineswegs in einer alten Bruchbude, sondern in einem Neubau an der Neuhäuser Straße in Paderborn. Ihr Sohn Rainer hat die Eigentumswohnung in dem Mehrfamilienhaus vor vier Jahren als Kapitalanlage gekauft. Im Herbst 2004 zogen die Eltern in die citynahe Wohnung mit Südbalkon ein. Seitdem hat das Rentnerpaar kaum noch eine ruhige Minute und ist mit den Nerven ziemlich am Ende. »Ohne Ohrenstöpsel ist an Schlaf gar nicht zu denken«, sagt Werner Koch.
Das von einer Paderborner Immobilienfirma errichtete Gebäude mit acht Wohnungen ist derart hellhörig, dass die Nachbarn nahezu jedes Geräusch mitbekommen. Intimsphäre wird zum Fremdwort. Ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger rät praktisch zum Abbruch. In seinem 67-seitigen Gutachten kommt der Experte zu dem Fazit: »Ob insgesamt das Haus mit vertretbarem Aufwand sanierungsfähig ist, erscheint fraglich«.
Dabei habe ihm die Firma vor dem Kauf per E-Mail sogar zugesichert, das Gebäude verfüge über »erhöhten Schallschutz«. Tatsächlich werden laut Gutachten nicht einmal die Mindestschallschutzwerte eingehalten. Der Sachverständige ist kein Geringerer als Prof. Dr.-Ing. Alfred Schmitz von der TU Braunschweig, ein ausgewiesener Fachmann für Bauakustik, »Deutschlands Schallschutzpapst schlechthin«, so Kochs Anwalt Andreas Steenkolk.
Schmitz bezeichnet schon die Pläne als fehlerhaft und kommt im Detail zu mehreren »absolut mangelhaften« Bauausführungen und Verstößen »gegen die Regeln der Baukunst«. Auch Rechtsanwalt Steenkolk ist in seiner »17-jährigen Praxis als Anwalt mit dem Schwerpunkt Baurecht ein derart hellhöriges Haus noch nicht untergekommen«.
Fachleute bezeichnen das Gebäude als »Radieschenhaus« - außen rote Hochlochziegel, innen weißer Kalksandstein. Diese Mauerkonstruktion sei zwar sehr gut dämmend, leite aber den Schall in extremer Weise durchs gesamte Haus.
Rainer Koch verklagte die Immobilienfirma deshalb beim Paderborner Landgericht auf Rückabwicklung des Kaufs und hatte Erfolg. Richter Johannes Eley setzte einen Ortstermin an. In der Wohnung selbst musste er nicht einmal sonderlich die Ohren spitzen, um zu hören, was los ist. »Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die von den Beklagten dem Kläger verkaufte Eigentumswohnung hinsichtlich des Schallschutzes nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht und insoweit erheblich mangelhaft ist«, schrieb er in sein Urteil. Danach muss die Firma die Wohnung zurück nehmen und Koch den Kaufpreis von 145376 Euro zuzüglich Zinsen von gut 20000 Euro sowie die investierte Eigenleistung in Höhe von rund 9000 Euro erstatten. Angesichts der Erheblichkeit der bestehenden Mängel sei dem Kläger eine Nachbesserung nicht zumutbar.
Zwei weitere Wohnungskäufer haben die Immobilienfirma inzwischen ebenfalls verklagt. Diese bagatellisiert indes die festgestellten Mängel und hat gegen das Urteil beim Oberlandesgericht Hamm Berufung eingelegt.
Bis die zweite Instanz entschieden hat, müssen Karin und Werner Koch wohl weiter auf ihre Ohropax vertrauen.

Artikel vom 19.03.2007