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»Kein Mensch schläft nachts durch«

Forscher Jürgen Zulley über Vorurteile und falsche Erwartungen an den Schlaf

Halle (WB). 40 Prozent der Deutschen klagen über Schlafstörungen. Für Prof. Dr. Jürgen Zulley ein Dilemma. Denn: »Guter Schlaf ist die Grundvoraussetzung für ein hohes Wohlbefinden.« Doch Deutschlands bekanntester Schlafmediziner macht allen frustrierten Nachtschwärmern Hoffnung: »Die Ursachen schlechten Schlafs lassen sich bereits im Kopf abstellen«, verdeutliche der renommierte Forscher am Mittwoch vor 100 Zuhörern im Henry-Dunan-Haus. WB-Volontär Marco Purkhart fragte nach.
Herr Zulley, haben Sie vergangene Nacht gut geschlafen?Zulley: »Oh ja, denn ich fühle mich heute ausgesprochen fit. Aber obwohl ich mich seit 34 Jahren intensiv der Schlafforschung widme, bin natürlich auch ich manches Mal nicht vor schlechten Nächten gefeit.«

Warum gibt es Menschen, denen öfter als Ihnen solch »schlechte Nächte« widerfahren?Zulley: »Vor allem, weil sie falsche Erwartungen an den Schlaf stellen. Eine gängige Meinung ist zum Beispiel, dass man nachts komplett durchschlafen müsse, um morgens erholt zu sein. Das ist Quatsch: Jeder Mensch wird nachts wach, ein guter ÝSchläferÜ sogar bis zu 28 Mal, woran man sich morgens jedoch nicht mehr erinnern kann. Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht. Während viele Leute die Krise kriegen, wenn sie nachts um drei kerzengerade im Bett stehen, sage ich mir: Super, du musst ja noch gar nicht aufstehen. So bereite ich mir keinen komplizierten Kummer.«

Klingt, als würde guter Schlaf mit einem Besuch beim Motivationstrainer beginnen . . .Zulley: »Eine gewisse innere Haltung zum Schlaf ist in der Tat fundamental. Auch wenn Nachtruhe sehr wichtig ist, darf man aber nicht verkrampfen, wenn der Bettaufenthalt mal wieder nicht optimal verlief. Sich hartnäckig bis verzweifelt einzutrichtern, ich muss jetzt unbedingt einschlafen, führt nur zu frustrierenden Ergebnissen. Auch sollte die Dauer des Schlafs nicht überbewertet werden. Mindestens vier bis maximal neun Stunden sind ein breiter und erlaubter Zeitrahmen, in dem jeder Mensch seinen optimalen Erholungswert findet. Es gibt hier keinen Universal-Richtwert, der auf jeden zutrifft. Ausschlaggebend ist vielmehr die Qualität des Schlafs.«

Wie lässt sich die Schlafqualität denn effektiv steigern?Zulley: »Zunächst spielt dabei die mentale Komponente eine wichtige Rolle. Der Mensch sollte abends gerne und ohne Zwang ins Bett gehen. Dazu kann er bereits Stunden zuvor die Voraussetzung schaffen, da Schlafstörungen nicht selten bereits tagsüber ihren Ursprung finden. Mein Tipp: Versuchen Sie am Tag körperlich aktiv zu sein, um abends ein wenig erschöpft abschalten und entspannen zu können. Auch ein Mittagsschlaf kann helfen - jedoch lediglich zehn bis 30 Minuten.«

»Wirkt sich die Schlafzimmereinrichtung ebenfalls auf den Schlaf aus? Wie könnte ein Muster-Schlafzimmer aussehen?«Zulley: »Leider nicht so, wie die meisten deutschen Schlafräume. In unserem Land haben sie sich zunehmend zu Abstellkammern entwickelt. Dabei haben Schreibtische und Kleiderschränke dort eigentlich gar nichts zu suchen. Das Schlafzimmer sollte vielmehr ein gemütlicher Raum sein, in dem man sich gerne aufhält. Warme Farben schaffen zum Beispiel eine sehr angenehme Atmosphäre. Das Zimmerfenster sollte im Sommer geöffnet, während der kalten Jahreszeit jedoch geschlossen bleiben. Unbedingt zu vermeiden ist Zugluft.«

Welchen Anspruch sollte der ambitionierte »Schläfer« an sein Bett stellen?Zulley: »Die Matratze muss punktelastisch sein. Das lässt sich testen, indem man die Faust von oben hineindrückt - das Material darf dann nur an dieser Stelle nachgeben. Zudem sollten Matratze und Bettwäsche eine so genannte Ýfeuchte AbleitungÜ gewährleisten, weil wir nachts einen halben Liter Flüssigkeit ausschwitzen. Der Stoff muss diese Flüssigkeit aufnehmen.«

Trotz all dieser praktischen Maßnahmen greifen viele Schlafgestörte zu Schlafmitteln. Sind es die Risiken der Medikamente wert, um eine geruhsame Nacht zu haben?Zulley: »Pflanzliche Mittel, die zwingend Baldrian enthalten sollten, sind bedenkenlos, leisten jedoch keine Abhilfe bei schweren Schlafstörungen. Verschreibungspflichtige Präparate sind hingegen mit Vorsicht zu genießen. Sie sollten niemals länger als drei Wochen eingenommen werden, da sie schnell in die Abhängigkeit führen können. Grundsätzlich gilt aber: Schlafmittel sollten immer nur die zweite Wahl sein. Ich favorisiere die Selbsthilfe.«

Wo finden Betroffene eine geeignete Anlaufstelle?Zulley: »Der Hausarzt ist nicht immer der passende Ansprechpartner. Ich empfehle vielmehr den Besuch in einem Schlaflabor, wie ich es an der Uni Regensburg leite. Die Erfahrungen sind äußerst positiv: Drei Monate nach ihrem Laborbesuch frage ich die Behandelten immer, wie sie inzwischen ihren Schlaf bewerten. Sagenhafte 90 Prozent geben mir gegenüber an, er habe sich verbessert - und das bereits nach einem einmaligen Wochenendseminar. Ansonsten gebe ich allgemein gerne den Ratschlag: Seien Sie mit sich und Ihrem Schlaf im Reinen und versuchen Sie es locker zu sehen, wenn Sie einmal schlecht geschlafen haben.«

Artikel vom 16.03.2007