04.04.2007
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»Manches spricht dafür, dass sich Ihre Tochter erneut verstecken wollte«, sagte er. Virginia blickte aus dem Fenster, sah ein paar kleine Fetzen Himmelsblau zwischen den Baumästen und dachte: Daran halte ich mich ja auch fest. An ihrem vorgestrigen Verschwinden. Wäre das nicht gewesen, ich würde wahnsinnig werden. Ich würde den Verstand verlieren.
Und dann lehnte sich Superintendent Baker vor, sah sie und Frederic an und sagte behutsam: »Ich leite die Ermittlungen in den Fällen Sarah Alby und Rachel Cunningham.«
Da begriff Virginia, welche Version in Wahrheit in Superintendent Bakers Kopf herumgeistern mochte.
Sie begann zu schreien.
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»Das kann nicht sein«, murmelte sie beschwörend, »das kann einfach nicht sein.«
Als sie wieder unten saß, fühlte sie sich kalt und leer. Sie fror, ohne das Bedürfnis zu haben, etwas gegen das Frieren zu tun. Sie hatte zudem nicht den Eindruck, dass es irgendetwas gab, das sie dieser inneren Kälte hätte entgegensetzen können.
Baker sah sie aus freundlichen, einfühlsamen Augen an. »Mrs. Quentin, während Sie oben waren, erzählte mir Ihr Mann, Ihre Tochter sollte von einem Bekannten abgeholt werden, der dann jedoch verhindert war. Ein MrÉ«, er warf einen Blick in seine Aufzeichnungen, »Éein Mr. Nathan Moor. Ein Deutscher.«
»Ja.«
»Ich würde ihn gern sprechen. Können Sie mir sagen, wie ich ihn erreiche?«
Sie kramte den Zettel mit seiner Anschrift aus ihrer Jeanstasche. »Hier. Das ist eine Pension in Hunstanton. Dort wohnt er zur Zeit.«
B
»Er und seine Frau befanden sich auf einer Weltumsegelung. Direkt vor den Hebriden kollidierten sie mit einem Frachter. Ihr Schiff sank. Sie konnten sich nur mit der Rettungsinsel in Sicherheit bringen. Da Mrs. Moor zuvor bei uns gejobbt hatte, fühlte ich mich irgendwieÉ verantwortlich. Sie besaßen ja nichts mehr, von einem Moment zum anderen. Ich nahm sie in unser Ferienhaus auf.«
»Verstehe. Und nun hat sich Mr. Moor hier ganz in der Nähe eingemietet?«
»Ja.«
»Wo ist seine Frau?«
»Sie ist gestern früh abgereist. Vermutlich versucht sie, über die deutsche Botschaft in London nach Deutschland zurückzukommen.«
»Aber ihr Mann ist hier geblieben?«
»Ja.«
Baker neigte sich ein wenig nach vorn. »Verzeihen Sie«, sagte er, »aber so ganz verstehe ich es immer noch nicht. Weshalb sitzt dieser Schiffbrüchige nun in Hunstanton? Wie wollte er von dort übrigens Ihre Tochter hier in KingÕs Lynn von der Schule abholen?«
»Er hat mein Auto.« Es war Virginia klar, wie befremdlich dies alles in den Ohren des Superintendent klingen musste. »Das Auto war auch der GrundÉ Es sprang gestern Nachmittag plötzlich nicht an. Deshalb rief er Grace an. Grace Walker, unsereÉ«
»Ich weiß«, unterbrach Baker, »von Mrs. Walker haben Sie ja bereits berichtet. Mr. Moor hat also Ihr Auto?«
Ihm wird gerade manches klar, dachte Virginia.
S
Ein verlegenes Schweigen folgte ihren Worten. Frederic starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen. Superintendent Baker notierte sich etwas.
»Ist Ihre Tochter über diese Pläne unterrichtet?«, fragte er.
»Nein«, sagte Virginia, »aber ich glaube, sie spürt, dass sich etwas verändert. Sie ist verängstigt. Ihr Weglaufen am vorgestrigen Abend hatte wohl etwas damit zu tun.«
N
Virginia und Frederic sahen einander an. Beide dachten sie in diesem Moment das Gleiche: Vielleicht war sie tatsächlich weggelaufen. Vielleicht suchte sie wirklich verzweifelt nach dem Heimweg. Aber irgendwo da draußen befand sich auch jener Irre noch auf freiem Fuß, der es auf kleine Mädchen abgesehen hatte, und solange Kim nicht zu Hause war, bestand die Gefahr, dass sie ihm in die Hände fiel.
»Was werden Sie konkret als Nächstes tun, Superintendent?«, fragte Frederic.
»Ich werde Polizeistaffeln losschicken, die mit Hunden die ganze Gegend absuchen. Wir werden jeden Grashalm umdrehen, das kann ich Ihnen versprechen. Eventuell geben wir auch Suchmeldungen über den Rundfunk aus.«
»Aber ist das nicht zu gefährlich?«, fragte Virginia. »Denn dann erfährt doch auch derÉ dieser Geisteskranke, dass hier ein kleines Mädchen unbeaufsichtigt herumläuft!«
A
»Nein. Nein, absolut nicht.«
»Ich werde trotzdem auch noch einmal mit ihren Freundinnen sprechen«, sagte Baker. »Kleine Mädchen vertrauen oftmals der besten Freundin doch mehr an als den Eltern. Sie können mir da sicher Adressen und Telefonnummern geben, Mrs. Quentin?«
»Natürlich«, sagte Virginia und stand auf.
A
»Nathan Moor steht ganz oben auf meiner Liste«, versicherte Baker.
Als er gegangen war, blickte Virginia Frederic zornig an. »Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn Nathan überprüft wird. Aber es war unnötig, ihn derart bei dem Superintendent anzuschwärzen!«
Frederic schloss sorgfältig die Haustür. »Ich habe ihn nicht angeschwärzt. Ich habe gesagt, was ich denke. Es geht um das Leben meines Kindes. Da werde ich doch nicht mit Informationen hinter dem Berg halten, nur weil das irgendwelche Empfindlichkeiten bei dir auslöst.«
»Er hat nichts mit ihrem Verschwinden zu tun!«
»Dabei würde er in das Muster passen, findest du nicht? Der nette Mann, der ganz neu in Kims Leben getreten ist und zu dem sie bedenkenlos ins Auto steigen würde.«
Artikel vom 04.04.2007