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Szenen einer
verlogenen Ehe

Ibsens »Nora« im Stadttheater

Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Eine Frau packt die Koffer und sagt zu ihrem Mann, der auf der bürgerlichen Karriereleiter hoch hinaus will: »Ich verlasse dich.« Finale Szenen einer Ehe, die der Autor Henrik Ibsen in seinem Schauspiel »Nora oder Ein Puppenheim« darstellt. Das Kölner Theater im Bauturm spielte das Stück am Dienstagabend in Herford.

Rechts ein Sofa und ein Sessel, links ein Sofa und ein Sessel, in der Mitte ein Küchentisch: Durch eine ungewöhnliche Symmetrie zeichnete sich das Bühnenbild aus. Indem sich so das dialogreiche Handlungsgeschehen von einer Seite auf die andere verlagerte, konnte die gesamte Bühne des Herforders Stadttheaters bespielt werden - ein Vorteil für die Zuschauer, die am Rand sitzen.
Erstmals aufgeführt wurde Nora im Jahr 1879 in Kopenhagen. Regisseur Axel Siefer hat aus der Ibsen-Vorlage eine neue Fassung gemacht, indem er das Stück sprachlich und inhaltlich in die Gegenwart zu übertragen versuchte. Dabei bezieht sich Siefer auf Ibsens Anspruch, »hochpolitische Stücke auf die gesellschaftlichen Verhältnisse« zu verfassen. Daraus folgert der Regisseur: »Ein Autor, der in seiner Zeit so aktuell wirken will, kann natürlich in einer anderen Zeit nicht als Museum vorgeführt werden. Der Interpret ist gehalten, die Tauglichkeit an seiner eigenen Jetztzeit zu überprüfen.« Und so erlebt man Nora (Annette Frier), wie sie eine CD einlegt oder zu einer Bauchtanz-Vorführung geht. Und sie steckt sich heimlich Zigaretten an, was ihren Mann Torvald (Frank Voß) zu der neudeutsch formulierten Frage veranlasst: »Na, wieder eine durchgequarzt?«
Regisseur Siefer hat nicht gerade behutsam eingegriffen - in dem Gefühl, dass der Inhalt des Stückes auch heute noch Gültigkeit hat. Das Resultat ist interessant und sehenswert - gleichwohl offenbart gerade die Konfrontation des Stoffes mit der Gegenwart die Mentalitäts-Unterschiede zwischen Ibsens Zeit und der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Der Autor demaskiert eine bürgerliche Gesellschaft, die nicht ohne Lüge auskommt. Die Entlarvung funktioniert vor dem Hintergrund eines festen Werteverständnisses - was für ein Unterschied zur Gegenwart, in der »Durchwursteln« zum Prinzip geworden ist: Erlaubt ist alles, sofern man sich nicht erwischen lässt. Ibsen lebte in einer anderen Zeit - sein Pochen auf Wahrhaftigkeit wirkt auch in der modernisierten Fassung etwas antiquiert, wenn auch berechtigt.
Sehr modern wird Nora, wenn es um den Bereich der Emanzipation geht. Am Schluss erinnern die Bilder der Inszenierung an Bergmans Szenen einer Ehe. Großartig, wie es die Schauspieler schaffen, die Stimmung vom Boulevardesken ins Todernste kippen zu lassen. Regisseur Siefer hat gute Akteure um sich versammelt. Vor allem die Hauptdarsteller Annette Frier und Frank Voß erhalten ausreichend Gelegenheit, ihr darstellerisches Spektrum zwischen Albernheit und Ehekrach zu beweisen. Eine gute Ensembleleistung ohne Schwächen - mit einer Inszenierung, über deren Schlüssigkeit jeder Theaterbesucher für sich selbst entscheiden muss.

Artikel vom 15.03.2007