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Gewalttaten bringen Schüler vor Gericht

Neue Trends in der Jugendkriminalität: Rohheitsdelikte auch gegenüber Eltern nehmen zu

Von Ingo Schmitz
und Harald Iding (Foto)
Höxter (WB). Ein Jugendlicher schlägt seine Mutter zusammen. Ein Schüler wird mit Fäusten attackiert, weil er für die abgeschriebenen Hausaufgaben nicht zahlen kann. Zwei Fälle von vielen, mit denen sich Richter Dr. Andreas Hohendorf in jüngster Zeit befassen musste.

Jugendkriminalität im Kreis Höxter hat viele Gesichter: Es fängt mit Diebstahl an und hört mit gefährlicher Körperverletzung auf. Besorgniserregend sind die neuen »Trends«, meint Dr. Hohendorf, der allein am heutigen Dienstag drei Heranwachsende auf der Anklagebank sitzen hat. Ihnen wird unter anderem Einbruch und Drogenbesitz zur Last gelegt.
»Die Taten werden immer roher. Es reicht schon aus, dass einem die Nase des anderen nicht passt, um Fäuste und Biergläser fliegen zu lassen. Es wird weiter getreten, wenn der andere bereits am Boden liegt. Aktuell sind auch viele Falschaussagen aus falsch verstandener Freundschaft«, erzählt der Direktor des Amtsgerichts.
Räuberische Erpressung, Straßenverkehrsgefährdung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Drogenbesitz, Schwarzfahren in der Bahn: Die Liste der Straftaten im Jugendbereich, die im vergangenen Jahr zur Anklage gebracht wurden, ist lang. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Richter: »Vieles wird schon im Vorfeld eingestellt.«
90 Prozent von Hohendorfs »Kunden« im Jugendbereich sind Episodentäter, die ein-, maximal zweimal wegen Diebstahls oder ähnlicher Delikte vor Gericht erscheinen müssen. Sie kommen meist mit einer Geldbuße oder Sozialstunden davon. Der Rest sind Mehrfachtäter. Meist ist Alkohol im Spiel und oft ist eine gefährliche Körperverletzung dabei. »In diesem Bereich ist es Zufall, wer auf der Anklagebank sitzt und wer das Opfer ist. Das kann 14 Tage später schon ganz anders aussehen.«
Bei Gewalttaten seien Jugendliche überproportional vertreten. In einem Fall hatte ein 14-Jähriger aus Höxter seine Mutter geschlagen. Es war nicht das erste Mal. Bei der jüngsten Auseinandersetzung stellten die Beamten dann Verletzungen an der Mutter fest - es kam zur Verhandlung. Dr. Hohendorf: »Die Mutter schwankt zwischen Verhätschelung und Vernachlässigung. Da ist der Sohn ausgerastet.« In diesem Prozess sei es nicht um das Strafmaß, sondern darum gegangen, das Verfahren durchzuziehen, um den jungen Mann von weiteren Taten abzubringen. »Wichtig ist, dass solche Familien die ambulante Hilfe zur Erziehung in Anspruch nehmen«, betont der Richter, der seit 27 Jahren in diesem Beruf tätig ist. »Ich kenne nicht nur die Jugendlichen auf der Anklagebank, sondern auch deren Eltern. Manchmal laufen sogar die Enkel bereits Gefahr, straffällig zu werden«, meint Hohendorf.
Sein Appell an die Gesellschaft: »Wir müssen es schaffen, den jungen Menschen Werte zu vermitteln und beizubringen, dass das eigene Recht da aufhört, wo das des anderen beginnt. Den jungen Menschen müssen wir zeigen, was soziales Handeln ist. Wenn sie das nicht von uns lernen, von wem denn dann?« Schon in den 80er Jahren habe er um soziale Trainingskurse für junge Straftäter gekämpft. Seit etwa fünf Jahren gibt es sie nun im Jugenddorf in Warburg. Nach Angaben des Richters nahmen 50 Jugendliche in 2006 an einem Kursus, der über mehrere Monate an den Wochenenden stattfindet, teil: »Viele machen etwas aus diesem Angebot. Und wenn es nicht klappt, bleibt nur noch der Dauerarrest.«

Artikel vom 13.03.2007