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Von Bärbel Hillebrenner

Druck erzeugt
Gegendruck


Erlaubt ist, was gefällt. Das ist heutzutage das Lebensmotto mancher Menschen in einer Gesellschaft, wo der Ellenbogen zu oft regiert, wo egoistisches Verhalten und Macht ausüben für einige zum guten Umgangston gehören. Wo lautstarke Attacken und Gekreische die ruhige Vernunft zu häufig übertönen. Wo unbeherrschtes Benehmen immer wieder von Gleichgesinnten entschuldigt wird: »Das müssen Sie doch aber verstehen, dass da mal jemand ausrastet!«
Nein, das kann und will ich nicht verstehen. Körperliche und verbale Angriffe unter die Gürtellinie sind keine Argumente und durch nichts zu entschuldigen. Das gilt für beide Seiten. Aber immer nur der einen Seite Verständnis für ihre verbalen Entgleisungen entgegenbringen zu müssen, während die andere Seite immer nur den Schwarzen Peter einheimsen soll, das ist unfair.
Viele Autobahngegner haben in der Redaktion angerufen. Mit den meisten konnte mehr sehr vernünftig und sachlich diskutieren. Andere aber haben auch mich für die Berichterstattung und den Kommentar in der Mittwochsausgabe unflätig beschimpft. Sie haben sich aber vor allem über die Äußerungen des CDU-Ratsherrn Marcell Siek aufgeregt, über seine Formulierungen wie »Pöbel und Bande von Anarchisten«. Forderungen nach seinem Rücktritt werden laut. Warum? Weil er sich gewehrt hat. Weil auch er Emotionen gezeigt hat. Weil er es nicht akzeptieren wollte, dass man ihn als »Kindermörder« beschimpft. Weil er sich nicht dafür anrempeln und treten lassen wollte, dass er eine Meinung hat. Eine Meinung, für die ihn weit mehr Menschen als die Gruppe der Autobahngegner gewählt haben.
Marcell Siek soll hier nicht als Märtyrer hingestellt werden. Ganz sicher nicht. Das will er nicht sein. Aber er vertritt eine große Zahl von Bürgern, nämlich die Befürworter der Nordumgehung. Es wird Zeit, dass auch jene mal aufstehen, um sich hinter ihre gewählten Politiker und deren Meinung zum Lückenschluss zu stellen. Denn auch sie, die Befürworter, haben sich in der Redaktion gemeldet. Warum von ihnen nur wenige Leserbriefe geschrieben haben? »Das traue ich mir nicht. Da werde ich auf der Klosterstraße doch nur angemacht.« Oder: »Dann könnte ich nicht mehr durch die Stadt gehen!« Und: »Das würde meinem Geschäft schaden. Die Kunden liefen mir weg.« Diese Antworten erschrecken mich.
Ob der Bürgermeister mit seiner Entscheidung über den Sitzungsort Rathaus richtig gelegen hat, bezweifele ich. Warum nicht einmal nachgeben, wenn man hohe Wogen schon im Vorfeld hätte glätten können? Die parlamentarische Ordnung wäre nicht in Unordnung geraten. In Rehme hätten die Gegner beweisen können, ob sie ihre Zusagen einer friedlichen Auseinandersetzung eingehalten hätten. Denn das wurde in der Politik angezweifelt.
Seine Meinung äußern, miteinander sprechen, diskutieren, streiten, überzeugen, Unterschiede akzeptieren, Gemeinsamkeiten finden, auch gegen den Strom schwimmen dürfen. Nur so ein Umgang kann zu Ergebnissen führen. Das gilt für Gegner wie für Befürworter, für Politiker wie für Bürger. Und von ihnen wissen das auch die meisten. Andere sollte man in die Schranken weisen und ihnen klar machen, dass sie der eigenen Sache nicht dienen. Druck erzeugt immer Gegendruck.

Artikel vom 10.03.2007