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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrerin Sigrid Kuhlmann

Sigrid Kuhlmann ist Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde (Pfarrbezirk III).

Mitten in der Passionszeit, der Fastenzeit und Vorbereitungszeit auf das Osterfest, möchte ich Ihnen Gedanken von Konrad Schomerus weitergeben, die er in seinem Buch »Kalenderge-schichten« veröffentlicht hat:
»Wer fastet, der ist entweder zu dick oder zu fromm. Beides Eigenschaften, die man heute ganz allgemein wenig schätzt. Diese zugegebenermaßen etwas vereinfachte Form der allgemeinen Ansicht über das Fasten hat ihren Grund darin, dass man meint, Fasten bestehe im Verzicht auf die Freuden dieser Welt. Und verzichten tut ja nur der, der es entweder muss, wie der Dicke, oder aus unverständlichen Gründen will, wie der Fromme.
Nun lässt es sich ja nicht leugnen, dass Fasten Verzicht bedeutet. Doch wer meint, Fasten hieße auf die Freuden dieser Welt zu verzichten, der versteht sehr wenig von Freude.
Tatsächlich ist es ja so, dass wir ohne Fasten keine Freude dieser Welt richtig genießen können. Denn Freude und Freiheit gehören zusammen. Ich kann mich nur über Dinge wirklich freuen, von denen ich nicht abhängig bin. Ein Gläschen Wein zu rechten Zeit unter Freunden macht Freude. Doch wer nicht mehr ohne Alkohol leben kann, der muss trinken, ohne Freude daran zu haben. Der ist nicht mehr Herr seiner selbst, sondern Sklave seiner Trunksucht. Dieser Zusammenhang gilt nicht nur hier, sondern für alles, womit wir leben. Wer von der Arbeit heim kommt, seinen Fernsehapparat einschaltet und ihn erst beim Schlafengehen wieder ausschaltet, dem bereitet das beste Programm keine Freude, er ist aber unsäglich hilflos, wenn der Apparat einmal ausfällt. Um Freude am Fernsehen zu haben, muss ich auch ohne ihn leben können. Das Gleich gilt natürlich auch für Computer, Internet und vieles andere mehr. Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren.
Um genau diesen Zusammenhang geht es beim Fasten. Der Apostel Paulus sagt im 1. Korintherbrief (6,12): Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen..
Wo wir fasten, machen wir uns unabhängig von den Dingen dieser Welt. Aber nicht deshalb, weil wir die Freude an diesen Dingen verachten, sondern gerade um uns die ungetrübte Freude an ihnen zu erhalten. Wenn wir uns einmal überlegen, wie viele angenehme Dinge uns keine Freude mehr machen, dann merken wir, wie gut es uns täte, einmal fromm zu sein und uns ab und zu im Fasten zu üben.
Wenn in der Kirche von alters her vor die beiden großen Feste Weihnachten und Ostern eine Buß- und Fastenzeit gesetzt ist, dann steckt dahinter eine ganze Portion weiser Lebenshilfe. Es geht in diesen Zeiten darum, dass wir uns besinnen auf das, was uns wirklich auf Dauer Freude in Freiheit bringt. Nämlich nicht das Haben-und-Genießen-Wollen um jeden Preis, sondern nur die Unabhängigkeit gegenüber der Welt, die in der Anhängigkeit von Gott gegeben wird. Um diese Freiheit geht es dem frommen Menschen, wenn er fastet. Denn erst diese Freiheit ermöglicht es uns, ohne Schmerzen geben zu können aus der Fülle der Gaben, die wir empfangen haben. Auch Nächstenliebe heißt verzichten können. Verzicht aber heißt nicht: Mangel an Freude leiden, sondern: Echte Freude an den Dingen dieser Welt gewinnen.«
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine Passionszeit, die Sie alle den Geist der Freiheit spüren lässt.

Ihre Sigrid Kuhlmann

Artikel vom 10.03.2007