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Expertin rät den Eltern zu Gelassenheit

Computerspiele und ihre Gefahren: 50 Zuhörer beim Informationsabend der Landeskirche

Detmold/Kreis Lippe (SZ). Petra Weiß ist schwanger. Sie übergibt sich in die Toilette, während ihre Tochter dem Hund Manieren beibringt. Eine Szene aus dem Computerspiel »Die Sims«. Die Abiturientin Christina Huppertz hat Petra Weiß erfunden und präsentierte ihr Leben auf einer Großleinwand jetzt im Landeskirchenamt in Detmold.

In der Reihe »Abends in der Bibliothek« standen jetzt in der Theologischen Bibliothek der Lippischen Landeskirche Computerspiele und ihre Auswirkungen auf Jugendliche im Mittelpunkt. Der Titel der Veranstaltung lautete: »www.verloren-im-netz.de?«
Ein »Techtelmechtel« hat Petra Weiß ihr Unwohlsein beschert. Kein Weltuntergang und durchaus in den Griff zu kriegen - wenn man sich kümmert. Das braucht Zeit. Da kann manche Stunde vergehen, wie Medienpädagogin Sabine Schattenfroh den etwa 50 Zuhörern erläuterte.
Etwa eine Stunde spielen Schülerinnen der siebten bis neunten Klassen laut einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen täglich am Computer. Männliche Schüler durchstreifen demnach im Schnitt immerhin schon 2,5 Stunden virtuelle Welten, jagen Terroristen, bauen sich ein Imperium auf. Da gehtĂ•s hart zur Sache, wie Thomas Johannesmeyer, ebenfalls Gymnasiast, am Beispiel »Counterstrike« erläuterte. Es gilt, Pistolen, Sturmgewehr und Granaten einzukaufen und dann mit den Polizistenkollegen zu verhindern, dass die Terroristen die Bombe legen. Das geht nur, wenn man die »Bösen« erschießt.
In der amerikanischen Version spritzt dann rotes Blut, der Gegner liegt flach am Boden. In der deutschen Fassung ist das Blut grün, der Getroffene sitzt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in der Ecke. »Spieltechnisch schlecht«, erläuterte Thomas Johannesmeyer, »da weiß man ja gar nicht, ob er noch im Spiel ist.« Die amerikanische Version gebe es im Netz - wie so vieles, das verboten ist, und gerade dadurch erst seinen eigenen Reiz bekomme.
Was verboten wird, entscheide in Deutschland die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). 1954 seien das zum Beispiel die ersten »Tarzan«-Heftchen gewesen. Dann gebe es auch noch die USK, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Ein effektives System, das außerhalb Deutschlands seinesgleichen suche, wie Sabine Schattenfroh betonte. »Schauen Sie auf das Freigabealter für die Spiele, das ist eine gute Orientierungshilfe. Informieren Sie sich, was Ihre Kinder am Computer spielen, schränken Sie, wenn nötig, die Zeit ein, die sie am Computer verbringen dürfen«, riet sie den Zuhörern. Und sie empfahl Gelassenheit. »Ego-Shooter«-Spiele wie »Counterstrike« führten keineswegs auf direktem Weg zum Amoklauf in der Schule. Hinter jedem Amoklauf stecke eine komplexe Geschichte, in der Computerspiele allenfalls ein winziger Baustein seien.
Welchen Stellenwert sie im Leben eines Jugendlichen einnehmen können, davon erzählten die eingeladenen Experten des Abends, Christina Huppertz, Lars Kiefert, Nick Wolff, Thomas Johannesmeyer und Mirko Vogelsmeier. Sie alle haben einiges an Lebenszeit in die Computerspiele investiert. Mirko Vogelsmeier beispielsweise, der es nach seinen Angaben in der Fantasiewelt »World of Warcraft« zum starken Krieger mit riesigen Waffen gebracht hat. Level 70. »Um dahin zu kommen, braucht man ungefähr 30 Tage à 24 Stunden. Ich habe eine Zeitlang täglich drei bis vier Stunden gespielt - statt Fernsehen«, erzählte er auf Nachfrage.
In der Diskussion fanden sich die fünf Jugendlichen schnell in einer ungewohnten Rolle wieder: Sie sollten erklären, wie sie, hineinversetzt in ihre Eltern, mit dem Spieltrieb der Kinder umgegangen wären. Kommunikation sei wichtig und die Eltern sollten zugucken, darin waren sie sich einig. Verbote seien nicht immer hilfreich, die könne man umgehen, meinten die Jugendlichen. Das wirkliche Leben habe sie aber alle irgendwann wieder eingeholt. Probleme in der Schule, ein neuer Freund - das sei dann doch wichtiger als das Leben in den Tiefen der virtuellen Welt.
Aber Medienpädagogin Sabine Schattenfroh warnte: »Es gibt Leute, die haben ein Suchtproblem. Statt Schokolade oder Alkohol können das auch Computerspiele sein. Die Eltern müssen sich kümmern, da darf es keine Berührungsängste geben. Der Umgang mit dem Computer ist eine Kulturtechnik, die erlernt werden muss.« Viele Untersuchungen bescheinigten, dass man dabei Problemlösungskompetenz, Reaktionsschnelligkeit oder Teamfähigkeit lernen könne.

Artikel vom 22.03.2007