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Wie ein Blick
ins Paradies

Magische Kapelle, wortstarker Hof

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Ein leuchtender »Lebensbaum« in der Abdinghofkirche und farbige Denkanstöße auf dem Vorplatz der Paderborner Marktkirche - allmählich konkretisieren sich die Spuren im Kunstprojekt »Tatort« (Mai bis September).

Gleich zwei der beteiligten zwölf Künstler ließen sich gestern in Paderborn in die »Karten« schauen. Dass sich Yvonne Goulbier (53) aus Hannover und Horst Gläsker (57) aus Düsseldorf bei ihren jeweiligen künstlerischen Beiträgen für eine sakrale Umgebung entschieden haben, hat freilich ganz unterschiedliche Gründe.
Die studierte Innenarchitektin und freischaffende Künstlerin Yvonne Goulbier sucht immer wieder ganz gezielt nach Kirchenräumen, um ihre meditativen Lichtinstallationen ins Bild zu setzen. In Paderborn hat sie die Abtskapelle in einem Anbau der Abdinghofkirche für ihre Arbeit entdeckt. »Als ich die Kapelle gesehen habe, da wusste ich gleich: das ist es!«, schildert Goulbier ihre Annäherung an das Projekt »Tatort - Irdische Macht und himmlische Mächte«. Hier möchte sie die Mittelsäule in dem nur rund 30 Quadratmeter großen Andachtsraum in einem magisch leuchtenden »Lebensbaum« verwandeln.
Die seit gut 25 Jahren mit Lichtinstallationen bekannt gewordene Künstlerin möchte ein 100-teiliges filigranes Bronzegeflecht in lichter Höhe rund um das Säulenkapitell anbringen. Die mit rotem Farbpulver beschichtete Skulptur wird in dem abgedunkelten Kapellenraum mit Schwarzlicht angestrahlt und soll in fluoreszierendem Licht wie ein überwirkliches Baumgeäst roséfarben bis violett leuchten.
»Das größte Problem wird wahrscheinlich sein, den Raum komplett abzudunklen«, mutmaßt Goulbier. Dazu möchte sie die drei gotischen und ein romanisches Fenster mit tiefblauer Lichtfilter-Folie abdecken, die nur noch drei Prozent des natürlichen Tageslichts einfallen lassen.
»Meine Stärke ist es, das Wesen und die Seele eines Raumes intuitiv zu erfassen«, ist sie von der angestrebten Wirkung schon jetzt überzeugt. »Ich habe eine Vorliebe für sakrale Räume, sie sind Zentren der Ruhe und Besinnung.« Besucher der Abtskapelle sollen sich während der Ausstellungszeit auf Bänken rund um ihre lichtgestaltete Säule niederlassen. Sogar seelische Selbsttherapie sei dann nicht ausgeschlossen: »Ich öffne mit meiner Arbeit ein wenig den Blick in das Paradies.«
Einen ganz anderen Ansatz sucht der Düsseldorfer Maler Horst Gläsker. »Ich befasse mich mit den Tugenden und Lastern der Menschheit«, erläutert er sein Konzept. In Zeiten, in denen immer mehr Werte verloren gingen, in denen Gewalt und Egoismus herrschten, möchte er das Bewusstsein für moralische Grundlinien wieder ins Bewusstsein heben. Als geeigneten Platz für seine Botschaft hat er den Vorhof der Marktkirche am Kamp ausgemacht.
»Die Marktkirche ist der Ort, den ich beim Besuch Paderborns sofort lieb gewonnen habe«, erzählt der geborene Herforder. Auf dem Vorplatz möchte Gläsker in einer farbigen (»nicht bunten«) Gestaltung den Passanten und Kirchgängern seine Schlüsselwörter wie »Anmut« und »Gnade«, aber auch »Ekel« und »Eitelkeit« ins Bewusstsein rufen. »Schön wäre es, wenn man von oben auf den Platz herab schauen könnte«, regt der Künstler an, eines der umliegenden Gebäude - eventuell das Theodorianum oder die gegenüber liegende Volkshochschule - zumindest zeitweise für Besucher zu öffnen.
Beim Aufbringen der Farbe auf die Gehwegplatten muss Gläsker den Denkmalschutz im Blick haben. So werden die Acrylfarben erst aufgetragen, nachdem der Boden mit einer schützenden Wachsschicht bedeckt worden ist. So lässt sich das temporäre Kunstwerk nach der fünfmontigen Ausstellung ohne hässliche Farbspuren leicht wieder entfernen. Damit Kirchgänger auf dem Bodenbild nicht ausrutschen, wird das Werk noch mit Lack und Quarzsand versiegelt.
Marktkirch-Pfarrer Dr. Elmar Nübold habe bei der Präsentation des Gläsker-Projekts zustimmend festgestellt, dass alle von dem Künstler vorgeschlagenen Begriffe ja auch in der Bibel vorkämen«, berichtete Paderborns Kulturamtsleiter Christoph Gockel-Böhner gestern bei einer Ortsbesichtigung. »So war es überhaupt nicht schwierig, den Kirchenvorstand zu überzeugen.«
Nachdem Dagmar Demming (55) als erste der zwölf von Ausstellungskuratorin Ingrid Stuwe-Raschke eingeladenen Künstler bereits in der Vorwoche ihre Toncollage vorgestellt hat, die sie in der Bus-Zentralstation realisieren möchte (das WV berichtete), kommt am Montag der niederländische Objektkünstler Joep van Lieshout (43) zu konkreten Vorgesprächen nach Paderborn. Er plant eine große begehbare Plastik im Paderquellgebiet.

Artikel vom 23.02.2007