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Sechs Monate nach OP:
Tauber Junge kann hören

Eltern erhoffen jetzt für Nico ein ganz normales Leben

Von Christian Althoff
Paderborn (WB). Für die Eltern ist es ein kleines Wunder: Sechs Monate, nachdem Ärzte dem tauben Nico sogenannte Cochlea-Implantate in den Kopf eingepflanzt haben, beginnt der zweijährige Junge aus Paderborn jetzt zu hören und zu sprechen. »Wir sind überglücklich!«, strahlt Mutter Daniela Hill.

Schon kurz nach Nicos Geburt im Januar 2005 hatten Ärzte befürchtet, dass das Kind nicht richtig hört. Das ganze Ausmaß des vermutlich genetischen Defektes wurde aber erst bekannt, nachdem der Junge im Alter von einem Jahr in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) unter Vollnarkose untersucht worden war. Die niederschmetternde Diagnose: Nico war taub und konnte deshalb auch nicht sprechen lernen. In einem Alter, in dem andere Kinder Mama und Papa sagen, benutzte Nico seine ausgestreckten Arme, um seine Eltern »anzusprechen«.
Die einzige Hoffnung der Eltern war eine aufwendige Operation in der Medizinischen Hochschule Hannover, die mit mehr als 3000 Patienten die größte Erfahrung im Einsetzen von Cochlea-Implantaten hat. Der Eingriff fand Ende Juli 2006 statt und dauerte fünf Stunden. Die Ärzte frästen dem Jungen in der Nähe der Ohren je eine Vertiefung von der Größe einer Knopfzellenbatterie in die Schädeldecke und setzten dort kleine Empfänger ein. Von diesen führten sie im Kopf Elektroden in die beiden Hörschnecken. Die Haut über den Empfängern verschlossen sie wieder. »Ein paar Tage später wurden an Nicos Ohren Hörgeräte befestigt, die den Schall aufnehmen und über ein Kabel an einen Mini-Sender leiten, der magnetisch ist und auf der Kopfhaut über dem Empfänger hält«, erklärt Daniela Hill. Den 120 000 Euro teuren Eingriff hatte die AOK ermöglicht.
Eine sofortige Heilung der Taubheit trat nach der OP nicht ein, und die hatte auch niemand erwartet. »Nico musste das Hören langsam lernen«, sagt seine Mutter. Alle vier Wochen fuhr sie mit ihrem Sohn für drei Tage nach Hannover, wo der kleine Junge Hörtests absolvierte und die Empfänger neu justiert wurden. »Wochen und Monate vergingen, ohne dass eine Besserung eintrat«, erzählt Daniela Hill und gibt zu, dass sie und ihr Mann ungeduldig geworden seien: »Verwandte, Freunde, Nachbarn - alle haben von Beginn an Anteil an Nicos Schicksal genommen und immer wieder gefragt.« Doch die Mutter konnte von keiner Besserung berichten. »Ich habe gedacht: Irgendwann muss sich doch etwas tun! Wir haben Türen zugeschlagen und den Klingelknopf unserer Wohnung gequält, aber Nico hat einfach nicht reagiert.«
Bis der Junge vor acht Wochen begann, seine Umgebung auch mit den Ohren wahrzunehmen. »Der Fernseher, der Nico bisher überhaupt nicht interessierte, fasziniert ihn plötzlich. Wenn er Musik hört, beginnt er zu tanzen, und wenn ich Tierstimmen nachmache, läuft Nico in sein Zimmer und holt das entsprechende Kuscheltier!«, strahlt die Mutter. »Wir merken richtig, dass Nico Hörfutter haben will.« Auch die ersten Worte kann der Zweijährige inzwischen sprechen: »Mama«, »Papa«, »heiß« und »auf«. Zum ersten Mal beschäftigt sich das Kind auch längere Zeit alleine mit seinen Spielsachen im Kinderzimmer. »Früher ist mir Nico nie von der Seite gewichen, weil er mich ja nicht hörte und befürchtete, allein in der Wohnung zu sein«, erinnert sich die Mutter.
Untersuchungen haben ergeben, dass die Hörschwelle des Kindes inzwischen bei 40 Dezibel (A) liegt. Damit kann Nico flüsternde Stimmen wahrnehmen. »Er hört allerdings nicht so wie wir«, erklärt Daniela Hill. »Menschen, die ein normales Gehör hatten, später taub geworden sind und dann ein Cochlea-Implantat bekommen haben, beschreiben das, was sie hören, als Micky-Maus-Stimmen.« Da Nico aber nie etwas anderes kennengelernt habe, werde er diese Art des Hörens als normal empfinden, sagt die Mutter.
Mit seinen Hörgeräten kommt der Zweijährige gut zurecht. Er heftet sich die bunten Magnetsender sogar selbst auf den Hinterkopf, wenn sie beim Toben einmal abgefallen sind. Nur nachts trägt das Kind die Geräte nicht. Daniela Hill, die halbtags als Erzieherin arbeitet, lässt Nico jetzt soviel Zeit wie möglich mit anderen Kindern verbringen, um ihn zu fördern. »Unsere große Hoffnung ist, dass Nico im nächsten Jahr einen gewöhnlichen Kindergarten besuchen kann. Das wäre der erste Schritt in ein ganz normales Leben.«

Artikel vom 24.02.2007