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China total in Bayern:
Kaiser Ko regiert Dietfurt
Deutschlands exotischster Karneval lockt Tausende ins Altmühltal
Aus dem Büro des Bürgermeisters klang anmutige Musik der Tang-Dynastie. Doch Franz Stephan begrüßte seine Gäste nicht mit »Grüß Gott«, sondern mit einem dreifach-donnernden »kili wau«.
Denn seine Dietfurter, das sind wohl die exotischsten Chinesen auf der ganzen Welt. Vergangene Woche war es wieder soweit: Deutschlands verrückteste Karnevalsfeier lockte Tausende nach Bayern. Denn einmal im Jahr, zum Fasching, verwandeln sich die 3000 Einwohner des Ortes in Kulis, Reisbauern, Hofschranzen, Konkubinen, Eunuchen, Rikschafahrer und Wok-Köche. Damit nicht genug, auch mehr als 10 000 auswärtige Besucher kommen als Chinesen verkleidet in die Siebentälerstadt an der Altmühl.
Sogar bis ins Reich der Mitte hat es sich schon herumgesprochen, dass im fernen Deutschland ein chinesisches Dorf existiert. Die Stadt Beijing schickte vor Jahren eigens eine Abordnung des Amtes für kulturellen Austausch nach Dietfurt - und bis heute lässt es sich der chinesische Generalkonsul in München, Yang Huiqun, nicht nehmen, den Chinesenfasching auf der Ehrentribüne mitzuerleben.
Regieren in Peking seit Jahrzehnten die Kommunisten mit harter Hand und werden andernorts die Narren von Prinzen angeführt, so gönnt sich Dietfurt seit 1954 einen echten chinesischen Kaiser. Fritz Koller schlüpft jedes Jahr in die Rolle des Ko Houang Di und blickt majestätisch vom Thron auf einer eigens errichteten Tribüne vor dem Rathaus auf sein Volk herab. Katja Ebsteins Schlager »Es war einmal ein Jäger« hat man, mit neuem Text versehen, zur »bayerisch-chinesischen Nationalhymne« umgewidmet.
Was wie ein cleverer Gag rühriger Tourismus-Manager wirkt, um den Ort wirksam vom Narretei-Allerlei abzuheben, hat in Wirklichkeit eine historisch verankerte Tradition. Denn die Dietfurter gelten seit jeher als die »bayerischen Chinesen«.
Und das kam so: Der Bischof von Eichstätt ließ seine Beamten die fälligen Abgaben eintreiben, doch seine Abgesandten standen in Dietfurt stets vor verschlossenen Stadttoren. Und die Stadtmauer erwies sich als uneinnehmbar. Da berichtete er seinem kirchlichen Herrn, die Dietfurter seien wie hinter der chinesischen Mauer abgeschottet, und mit Zwang sei da gar nichts zu machen.
Schon im Jahre 1860 ist die Bezeichnung »Chinesen« der weiteren Umgebung bekannt gewesen, denn im »Kalender für katholische Christen auf das Schaltjahr 1860« sind die Dietfurter als solche bezeichnet. Auch in einem wissenschaftlichen Artikel des Eichstätter Pastoralblattes vom Jahre 1869 wird das Dietfurter Gebiet als »Chinesenviertel« genannt.
Diese für die ganze Diözese gültige Schrift setzt einen großen Bekanntheitsgrad des Spitznamens voraus, der wiederum auf ein (schon damals) sehr hohes Alter schließen lässt. Als Kränkung hat man dies nie empfunden - im Gegenteil! In China bestand längst eine hochstehende Kultur, als Europa noch von Sumpf und Urwäldern bedeckt war und die Menschen zum Teil in Höhlen hausten.
Das ganze Jahr über bietet der Chinesenbrunnen am Rathaus Besuchern der Stadt ein wenig exotisches Flair, außerdem ist in einer Vitrine neben der Tourist-Information ein kaiserliches Originalgewand zu bestaunen, welches die Stadt Beijing den Dietfurtern schenkte. Doch zur Karnevalszeit erlebt man das skurrile Treiben natürlich am authentischsten.
Ohne Zweifel: der Dietfurter Faschingsumzug gehört zu den besten in ganz Deutschland. Die Stadt ist sich der außergewöhnlichen Tradition bewusst und finanziert, was sich letztlich nicht durch außergewöhnlich hohes ehrenamtliches Engagement aufbringen lässt. Nur bei den kulinarischen Genüssen, da haben Frühlingsrolle & Co. keine Chance gegen Nougat- und Schoko-Rum-Krapfen, Leberkäs und Rostbratwürstchen.
Thomas Albertsenwww.dietfurt.de

Artikel vom 24.02.2007