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Neue Einkaufstempel:
ein Angriff auf OWL

Verband sorgt sich um die Innenstädte der Region

Von Stefan Genth
Der Einzelhandel in Ostwestfalen-Lippe sieht sich einem massiven Angriff aus Hessen und Niedersachsen ausgesetzt. Mit der Projektierung von Factory Outlet Centern (FOC) in den Nachbarländern in Diemelstadt an der Autobahn 44 und in der Nähe von Osnabrück an den Autobahnen 1 beziehungsweise 30 soll massiv Kaufkraft aus der Region abgeschöpft werden.

Um was geht es bei dieser nicht neuen Erscheinungsform des Handels? Factory Outlet Center sind großflächige Einkaufszentren mit mehreren tausend Quadratmetern Einzelhandelsfläche, 60 bis 100 Shops und einem Angebot von Textilien, Sportartikeln, Schuhen und weiteren Branchen, die typischerweise in den Innenstädten vorzufinden sind. Diese Outlet-Center sind nicht mit den Fabrikverkaufsangeboten der heimischen Textilindustrie zu vergleichen und werden ausschließlich in ländlichen Regionen, die über eine gute Autobahnanbindung verfügen, geplant.
Die britische Investoren- und Betreibergesellschaft McArthur Glen möchte in der beschaulichen, ländlichen Gemeinde Diemelstadt in Nordhessen ein Factory Outlet Center mit zunächst 15 000 Quadratmetern Verkaufsfläche direkt an der Autobahn 44 errichten. McArthur Glen ist bereits in Europa an etlichen Standorten mit entsprechenden Centern am Markt, so in Roermond im direkten Einzugsbereich zu Aachen.
Geplant ist in Diemelstadt ein Markteinzugsgebiet von bis zu 90 Auto-Minuten um den Standort herum. Insgesamt sollen damit 5,6 Millionen Einwohner erreicht werden. Interessant ist hierbei, dass Nordrhein-Westfalen mit 4,24 Millionen Einwohnern im Einzugsgebiet die Hauptzielgruppe des neuen Einkaufszentrums sein soll.
In diesem großdimensionierten Einkaufszentrum auf dem platten Land sollen insbesondere innenstadtrelevante Sortimente, wie Bekleidung, Schuhe und Sportartikel, aber auch Elektrowaren, Haushalts- und Einrichtungsgegenstände, Glas, Porzellan und Keramik angeboten werden. Entgegen den bisherigen Presseveröffentlichungen, die von einer Verkaufsfläche von 30 000 Quadratmetern sprachen, sollen jetzt 15 000 Quadratmeter Verkaufsfläche gebaut werden. Das geplante Umsatzpotential beträgt 60 bis 67,5 Millionen Euro pro Jahr.
Erhebliche Kaufkraftabflüsse und Kaufkraftumverteilungseffekte sind wegen der besonderen Solitärlage im ländlichen Raum und mit der besonders guten Autobahnanbindung zu erwarten. Paderborn im Nordwesten und Kassel im Osten - beide Großstädte liegen kaum eine halbe Stunde vom geplanten FOC entfernt - befürchten erhebliche negative Auswirkungen auf die Innenstädte. 10 bis 15 Millionen Umsatz könnten künftig von Paderborn nach Diemelstadt abfließen. Damit ist die Innenstadt in ihrer Ausprägung als Einkaufsstandort erheblich gefährdet. Leerstände und damit ein erheblicher Attraktivitätsverlust wären die Folge. Neben den Oberzentren wären ebenso die ländlichen Kommunen und der dortige Einzelhandel, insbesondere der mittelständisch geprägte Facheinzelhandel, im Hochstift der Kreise Paderborn und Höxter und im Hochsauerland erheblich beeinträchtigt.
Nach den derzeit geltenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften ist ein derartig großes Einkaufszentrum im ländlichen Diemelstadt nicht genehmigungsfähig. Hier müssen entsprechende Gesetze und Pläne geändert werden, was jedoch politisch durchaus möglich wäre.
Wenn solche Factory Outlet Center als neue großflächige Einkaufszentren im ländlichen Raum zugelassen werden, würde man das gesamte bisher geltende Planungsrecht auf den Kopf stellen. Mit welchen Argumenten sollten zukünftig beispielsweise Fachmärkte oder Discounter in Gewerbegebieten außerhalb unserer Innenstädte abgelehnt werden, wenn man hier einen Freibrief für ein derartiges Einkaufszentrum erteilt?
Auch für Kunden und Verbraucher sind diese Center häufig nur Etikettenschwindel, da hier echte Markenware gar nicht oder selten angeboten wird und die versprochenen erheblichen Preisnachlässe sich auf eigens für das FOC produzierte Waren oder »No name«-Produkte beziehen. Darüber hinaus dürften heimische Textilhersteller wohl kaum als »Mieter« in derartigen Einkaufszentren anzutreffen sein.
Von den Befürwortern vielzitierte positive Effekte für die ländliche Region, insbesondere im Blick auf den Tourismus, sind keineswegs nachvollziehbar. Im Gegenteil: Untersuchungen an bisherigen FOC-Standorten haben ergeben, dass Kunden und Besucher sich in diesen Centern aufhalten, ohne im Anschluss daran weitere Angebote in der Region, sei es im Einzelhandel oder im Tourismus, zu nutzen. Ziel der Betreiber der Outlet-Center ist es, mit ergänzenden Angeboten, wie Cafes, Eisdielen, Fast-Food-Läden, Kinos und Freizeiteinrichtungen, wie Schwimmbädern, Eisbahnen oder Skihallen, die Kunden möglichst lange im Center zu halten und Umsätze zu generieren. Ein Interesse, dass diese Kunden ihr Geld auch noch im Umfeld des Projektstandortes in der jeweiligen Region ausgeben, sei es im dort noch verbliebenen Handel oder in der Gastronomie, dürfte kaum bestehen.
Diemelstadt ist kein Einzelfall. In Hessen geht es um weitere mindestens zwei Standorte für ein derartiges Center, jeweils im ländlichen Raum. Auch in Niedersachsen, in Osnabrück sowie in Bispingen und Soltau, werden derartige Fabrikverkaufszentren momentan diskutiert.
Der Handel lehnt diese angeblich besondere Form der Einkaufszentren im ländlichen Raum ab und spricht sich gegen eine Bevorzugung oder eine Subventionierung aus. Für Factory Outlet Center muss das gleiche Bau- und Planungsrecht wie für den übrigen Handel gelten. Mit dem Regionalen Einzelhandelskonzept Ostwestfalen-Lippe ist eine gute und verlässliche Basis für die zukünftige Handels- und Stadtentwicklung in unserer Region gegeben. Die gemeinsamen Bemühungen des Handels und der Städte um leistungsfähige und attraktive Innenstädte in der Region Ostwestfalen-Lippe wären massiv gefährdet, würde man dem Druck der britischen Investoren nachgeben. Letztlich zahlt der Kunde auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung unserer Gesellschaft die Zeche, wenn eine Nahversorgung und ein Einzelhandelsangebot vor Ort in den Städten und Gemeinden nicht mehr vorhanden ist.

Artikel vom 03.03.2007