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Die Entwicklung
steht am Scheideweg

Politik darf bei Reformbemühungen nicht nachlassen

Von Ortwin Goldbeck
Die aktuelle IHK-Frühjahrskonjunkturumfrage bringt es deutlich an den Tag: Die ostwestfälische Wirtschaft behält ihren Schwung aus 2006 auch 2007 bei und blickt weiterhin optimistisch nach vorne. Ein erfreuliches Ergebnis, insbesondere deshalb, weil wir 20 Jahre zurückgehen müssen, um eine ähnlich erfreuliche Lageeinschätzung der hiesigen Wirtschaft zu finden.

Die Konjunktur wird insbesondere angetrieben durch wachsende Auslandsgeschäfte und die anziehende Inlandsnachfrage, speziell im Investitionsgüterbereich. Inlands- und Auslandsumsätze werden wohl auch in 2007 weiter wachsen. Und der momentane Aufwärtstrend scheint erfreulicherweise auch den Arbeitsmarkt zu erreichen: 28 Prozent aller Industrieunternehmen wollen Personal einstellen, »nur« 16 Prozent Personal abbauen, der beste Wert seit zehn Jahren. Bestehende Arbeitsplätze werden gesichert. Zudem geht der bereits im vergangenen Jahr festgestellte Boom bei den Zeitarbeitsunternehmen weiter.
Der konjunkturelle Aufschwung wird aber wohl kaum ausreichen, unser Problem der hohen Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Es entwickeln sich im Gegenteil neue Schwierigkeiten. Schon jetzt gelingt es vielen Unternehmen nicht mehr, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Manche Firmenkonjunktur wird dadurch bereits gebremst.
Insgesamt steht die wirtschaftliche Entwicklung an einem Scheideweg. Nach mageren Jahren geht es wieder bergauf. Das ist gut so. Aber wir dürfen auch nicht in zu große Euphorie verfallen und dieses Wachstum gefährden. Denn verglichen mit den Wachstumsraten Ende der 80-er oder Anfang der 90-er Jahre oder auch verglichen mit den wirklich wachstumsstarken Industrienationen wie Irland, Finnland oder selbst den USA, bewegen wir uns immer noch im Nachzüglerbereich.
Das Wachstum ist in jedem Fall gefährdet, wenn der bisherige Weg der vernünftigen Lohnpolitik verlassen würde. Gerade die moderate Lohnpolitik der vergangenen Jahre war ein wichtiger Beitrag zum gegenwärtigen Konjunkturaufschwung. Sie hat die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gestärkt. Insofern sind Lohnforderungen mit einer sechs vor dem Komma gefährlich. Augenmaß ist angesagt.
Auch die Mitarbeiter sollten am Unternehmenserfolg partizipieren. Sie haben ihn schließlich mit erwirtschaftet. In der Regel wird ihnen in konjunkturell guten Zeiten auch mehr abverlangt, also müssen sie davon profitieren. Aber eben nur, so lange die Geschäfte auch gut laufen. Hier ist ein Umdenken gefordert. Denn eine übertrieben hohe Tarifrunde, die dauerhaft nachwirkt, bringt so manchen Betrieb in der nächsten Flaute erfahrungsgemäß in existenzielle Bedrängnis - und in die Misere, dass Mitarbeiter entlassen werden müssen, die beim nächsten Konjunkturhoch wieder dringend benötigt werden.
Der angesprochene Scheideweg führt auch unweigerlich zum Thema Lohnnebenkosten: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurden gesenkt, gleichzeitig aber wurden die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung angehoben: So sieht keine konsequente Reformpolitik aus. Weitere Baustellen bleiben Bürokratieabbau und der überregulierte Arbeitsmarkt.
Ich kann nur an die Politik appellieren, bei den Reformbemühungen nicht nachzulassen und die bekannten Projekte konsequent abzuarbeiten. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Der momentane Aufschwung hat nur wenig mit strukturellen Verbesserungen in Deutschland zu tun, sondern basiert auf einem Faktoren-Mix - angefangen bei der gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bis hin zur Dynamik der Weltwirtschaft. Wenn die Kurve wieder abschwingt, werden die Realitäten in Deutschland erneut deutlich zutage treten.

Artikel vom 31.03.2007