15.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Meisterpartie der Schauspielkunst

Kulturwerk: Gerd Silberbauer fasziniert in Stefan Zweigs »Schachnovelle«

Steinhagen (WB). Spannend, emotional aufwühlend und optisch stimmig - Stefan Zweigs »Schachnovelle« präsentierte sich publikumswirksam im besten Sinne. Herausragend vor allem die Leistung von Hauptdarsteller Gerd Silberbauer. Das Steinhagener Publikum war begeistert: stehende Ovationen.

Wie kann eine Schach-Geschichte ein Theaterpublikum zwei Stunden lang in Atem halten? Keine wortgewaltigen Rededuelle, keine bühnenwirksamen Konflikte oder amourösen Verwicklungen. Noch dazu gehört die »Schachnovelle« zu den Klassikern, ihr Inhalt ist bekannt: Auf einem Passagierdampfer kommt es zur Schachpartie zwischen dem amtierenden Weltmeister und dem Wiener Anwalt Dr. Bertram (bei Zweig »Dr. B.«). Von der Gestapo in Isolationshaft zermürbt, spielt der Hochgebildete Schach-Meisterpartien im Kopf, bis er einen Nervenzusammenbruch erleidet. Nun bezwingt er am realen Schachbrett zwar den Weltmeister, gelangt aber wieder an den Rand des Wahnsinns. Und dieses innere Drama ist es, das - perfekt inszeniert -Êdas Stück trägt und zu einem Ereignis macht.
In der fast voll besetzten Aula lassen Bühnenautor Helmut Peschina, Regisseur Frank Matthus und Bühnenbildner Karel Spanhak eine luxuriöse Traumschiff-Welt Ende der 30er Jahre erstehen. Blauer Himmel, Möwengeschrei und oberflächliches Dinner-Geplauder: Die Passagiere wie der Industrielle McConnor (glänzend Eckhard Becker) spielen Schach gegen ihre gediegene Langeweile. Nichts, was sich ein reicher Amerikaner nicht mit Geld kaufen könnteÉ und so engagiert McConnor den Schachweltmeister (herrlich simpel und arrogant Daniel Pietzuch) zu einer Partie.
Doch mit dem Auftritt von Dr. Bertram wird aus dem unbeschwerten Treiben ein Seelendrama. Der sensible Intelektuelle reißt nicht nur die Schachpartie herum, seine Geschichte beherrscht vortan die Bühne. Unterstützt von Licht- und Tonwechseln wird aus der Schiffslounge das Hotel-Gefängnis.
Ergreifend und jederzeit nachvollziehbar zeigt Gerd Silberbauer den inneren Kampf Bertrams. Angst und Aggression, Resignation und Verzweiflung wechseln. Doch erst als ihm das Schachbuch und damit sein letzter geistiger Strohhalm entrissen wird, verliert er ohne ein geistiges Gegenüber den Boden unter den Füßen. Bertrams Schach-Lebenselixier wird zum Gift. »Jetzt sind sie matt, schachmatt«, triumphiert sein Nazi-Wärter. Gerd Silberbauer spielt faszinierend, ohne dass die Darstellung aufgesetzt wirkte. Dr. Bertram fließt gleichsam aus ihm heraus.
Am Ende steht ein gebrochener Held: Die Nazi-Folter hat seine Seele dauerhaft verletzt, das »Schach-Fieber« kehrt zurück. Aber gerettet ist die Würde der Person, die sich der Inhumanität widersetzt hat. Darin hat Zweig in seiner 1942 erschienenen Novelle einen Hoffnungsschimmer gesetzt - der seinen eigenen Freitod im Exil überstrahlt. Ein bewegender Abend. Friederike Niemeyer

Artikel vom 15.02.2007