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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrerin Wirwe Grau-Wahle

Pfarrerin Wirwe Grau-Wahe ist Altenheim-Seelsorgerin in Rahden.

Nach ihrer Rückkehr erzählten die von Jesus ausgesandten Jünger alles, was sie auf ihrer Reise getan und unter den Menschen verkündigt hatten. »Geht jetzt an einen einsamen, stillen Platz« sagte Jesus zu ihnen. »Ihr habt Ruhe nötig.«
Es waren nämlich so viele Menschen bei ihnen, dass sie nicht einmal Zeit zum Essen fanden. Deshalb fuhren sie mit einem Boot an eine einsame Stelle. Aber das hatten viele Menschen beobachtet. Aus allen Dörfern liefen sie dort hin. Sie beeilten sich so sehr, dass sie noch vor Jesu und seinen Jüngern da waren. Als Jesus aus dem Boot stieg und die vielen Menschen sah, schickte er sie nicht weg, weil er Mitleid mit ihnen hatte; sie waren wie eine Schafherde ohne ihren Hirten. Deshalb nahm er sich viel Zeit und lehrte sie (Markus 6,30-34).
Das Jahr 2007 ist erst sechs Wochen alt oder besser schon sechs Wochen alt, und häufig sind mir in dieser Zeit Menschen begegnet, die halb im Ernst, halb scherzhaft von ihrer Zeitnot sprachen, das Jahr sei ja schon fast wieder rum. Tröstlich ist da, dass die Evangelien im Blick auf Jesus auch etwas von der Zeitnot berichten und von seinem Umgang damit.
Drastischer kann man die heutige Hektik auch nicht darstellen. Sie hatten nicht einmal Zeit zum Essen. Jesus sagt seinen müden, erschöpften Jüngern nicht: »Ihr seid immer im Dienst« oder »Ihr müsst eure Zeit besser organisieren«, sondern: »Ihr habt Ruhe nötig. Mach eine Pause.« Jesus zeigt hier in besonderer Weise seine Mitmenschlichkeit - macht Mut dazu. Und die Fahrt mit dem Boot hatten sie für sich zusammen - wichtige gemeinsame Zeit.
Aber dann!!! Jesus steigt aus dem Boot und sieht sich einer großen Menschenmenge gegenüber. Auch jetzt sagt er nicht: »Wir wollen unsere Ruhe an einer einsamen Stele und nun diese viele Menschen . . .« Sondern er hat Mitleid mit diesen Menschen und gibt was er eigentlich nicht hat: Zeit. Obwohl er lange lehrt, ist es sicher nicht genug, um allen Anfragen und Wünschen gerecht zu werden. Aber es ist das, was er hat. Ob er allein »arbeitet« und sich die Jünger derweilen ausruhen konnten, steht nicht dabei. Wohl aber, dass sie weiter Angst um die Zeit haben.
»Gegen Abend kamen seine Jünger zu ihm und sagten: »Es wird bald dunkel. Schick doch die Leute weg, damit sie in die Dörfer oder auf die Höfe in der Umgebung gehen und sich etwas zu essen kaufen.« (Markus 6,35). Ja, Zeit hat natürlich auch mit Broterwerb zu tun, mit der Existenz. Und dann muss - so denken die Jünger - auch Jesus an Termine erinnert werden.
So folgt die Geschichte von der Brotvermehrung, die sich vielleicht auch als Geschichte von der Zeitvermehrung lesen lässt. Die Jünger hatten keine Zeit zum Essen gehabt, nun hatten sie wenigstens Brot und Fisch. Jesus wirkt das Wunder mit Wenigem, dem »Fast nichts«. Vielleicht ist das seine Art bis heute. Dass aus dem »Fast nichts« an Menge ein qualitativer Umschlag werden kann, aus fehlender Quantität eine lebensrettende Qualität entstehen kann.
Dann wenn aus unserer so geringen und gehetzten Zeit gesegnete Zeit wird, Zeit - und sei es nur ein Augenblick, die wir genießen können, in der wir uns Ruhe gönnen.

Artikel vom 10.02.2007