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Je früher gefördert, desto besser

Erstmals Sprachstandserhebung für alle vierjährigen Kinder - Sprachkurs Pflicht

Von Monika Schönfeld
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Kinder, die bei der Sprache Defizite haben, haben es an der Grundschule schwer. »In zunehmenden Maße bemerken wir, dass auch Kinder aus einem deutschsprachigen Umfeld wenig aktiven Wortschatz haben, bestimmte Begriffe gar nicht kennen und Schwierigkeiten mit der Grammatik haben. Das wirkt sich beim Lesen und Schreiben lernen aus.« Das sagt Irmgard Heimbrodt, Leiterin der Pollhansschule, und Kollegen und Kolleginnen der anderen Grundschulen stimmen zu.

Das neue Schulgesetz trägt dieser Situation Rechnung. Dieses Jahr erstmals vorgeschrieben ist eine Sprachstandserhebung aller Kinder, die vier Jahre alt sind und 2009 eingeschult werden. Erfasst werden dabei auch die Kinder, die keinen Kindergarten besuchen. »Das sind unsere Sorgenkinder«, sagt die Leiterin der Grauthoffschule, Evelin Hartmann-Kleinschmidt. Meist seien es religiöse Gründe, die Kinder nicht oder erst mit fünf Jahren in den Kindergarten zu schicken. Und in diesen Familien werde meist wenig oder gar kein Deutsch gesprochen.
Bis zu den Osterferien soll die erste Stufe der Sprachstandserhebung abgeschlossen sein, sagt Schulrätin Gitta Trachte. Die Grundschulen haben bereits einen oder zwei Lehrer pro Schule benannt, die in den Kindergärten, die ihnen zugewiesen sind, gemeinsam mit den Erziehern den »spielerischen Test« machen. In Gruppen von vier bis fünf Kindern wird die Erzieherin mit den Kindern das Sprachspiel machen, die Grundschullehrer werden sich auf die beobachtende und dokumentierende Rolle beschränken. Die Ergebnisse werden dann zwischen Erzieher und Lehrer besprochen. »Die Kooperation der Grundschulen mit den Kindergärten ist gesetzlich verankert«, sagt Gitta Trachte. Nach dieser ersten Phase werden die Eltern sofort benachrichtigt, ob der Sprachstand ihrer Kinder altersgemäß ist.
Kinder, bei denen Defizite auftreten, werden ab Mai mit »differenziertem Diagnosematerial« untersucht, das Professor Lilian Fried von der Universität Dortmund im Auftrag der Landesregierung entwickelt. An dieser Einzeluntersuchung müssen auch die Kinder teilnehmen, die keinen Kindergarten besuchen. In der zweiten Phase soll dann das Förderprogramm für das einzelne Kind aufgestellt werden. Im Sommer sollen die Sprachförderkurse, die verpflichtend sind, in den Kindertagesstätten oder in Familienzentren stattfinden.
Die praktische Umsetzung der Sprachförderkurse ist noch offen. Die Leiterin des evangelischen Versöhnungskindergartens, Betty Lichtenauer, weiß wie ihre Kolleginnen noch nicht, ob für die Förderung Personal von außen geholt wird, oder ob die Erzieherinnen aus dem Kindergarten dafür qualifiziert und freigestellt werden müssen und wer das bezahlt. Fraglich sei auch, ob an jedem Kindergarten ausreichend Kinder zusammen kommen oder ob sie an andere Stellen gefahren werden müssen. »Wenn die Sprachförderung einmal täglich für eine Stunde geleistet werden soll, ist fraglich, wie wir das praktisch umsetzen sollen«, so Betty Lichtenauer. Die Kindergärten warten ab. Die Grundschulen sind verpflichtet worden, mit den Kindergärten Kontakt aufzunehmen - erst einmal für die erste Phase. Das werden die dazu ernannten Lehrer an den Grundschulen aber erst machen, wenn sie die Beobachtungsbögen haben, mit denen sie arbeiten sollen. Die Lehrer werden am Donnerstag im Schulamt des Kreises eingewiesen. »Bevor wir nichts Genaues wissen, können wir die Eltern auch noch nicht informieren«, sagt Betty Lichtenauer. Ruth Lohmeier, im Jugendamt des Kreises zuständig für die Kindergärten: »Man ist im Gehen und macht dabei.«
An Kindergärten und Grundschulen laufen bereits Projekte zur Sprachförderung durch »Hören, Lauschen, Lernen« (HLL) nach dem Bielefelder Screening, oder jeden Tag, indem Kinder zu Bilderbüchern Geschichten erzählen, Lieder singen, spielen und sprechen. An Grundschulen laufen Sprachförderkurse, die ein halbes Jahr vor Schuleintritt beginnen, wenn bei der Anmeldung Sprachdefizite festgestellt worden sind. Je früher Sprachförderung ansetzt, desto besser - darin sind sich alle einig. An den Grundschulen bekommen Kinder im ersten Schuljahr Förderunterricht für Rhythmik und phonetische Bewusstheit wie Silben hören und Reime bilden.
Das Land Nordrhein-Westfalen rechnet mit 20 bis 25 Prozent Sprachförderbedarf bei den Vierjährigen, sagt Schulrätin Gitta Trachte. 175 000 Kinder werden in NRW pro Jahr eingeschult, 160 000 davon waren vorher in einer Kindertagesstätte. Im Jahr 2005 ist bei 15 Prozent der Kinder, die eingeschult wurden, festgestellt worden, dass sie sprachfördernde Maßnahmen brauchen. Die Sprachförderkurse, die nach dem zweiten Test angeboten werden, sind für die betroffenen Kinder verpflichtend. Gitta Trachte hofft, dass dann auch die Eltern, deren Kinder noch keinen Kindergarten besuchen, ihre Kinder an einer Einrichtung anmelden werden.

Artikel vom 30.01.2007