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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer Reinhard Schreiner

Reinhard Schreiner ist Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Höxter.

Liebe Schwestern und Brüder!
Einer der schönsten theologischen Buchtitel, der mir je in die Hände gefallen ist, lautet: »Wie aus Grenzen Brücken werden«. »Aus Grenzen Brücken« - das war von Anfang an das erste große Programm in christlichen Gemeinden.
So schreibt Paulus im Ephesus-Brief: »So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen...« Die Grenzen zwischen verschiedenen Gruppen in der Gemeinde sind abgebrochen, die Brücke ist gebaut.
Was uns auf den ersten Blick wie das Bild einer idealen Kirche erscheinen mag, war damals ein ganz schwieriger Lernprozess. Juden und Heiden gingen sich im normalen Leben meistens aus dem Weg. Dass ehemalige Heiden auch zur Gemeinde Jesu gehören durften, bedeutete das Überwinden einer strengen Grenze. Dazu bedurfte es einer tragfähigen Brücke. Und auch, dass Männer und Frauen, dass Sklaven und Freie in der Gemeinde Jesus gleichberechtigt nebeneinander saßen, war alles andere als selbstverständlich.
Dazu bedurfte es einer tragfähigen Brücke. An anderer Stelle beschreibt Paulus diese Brücke mit den Worten: »Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.«
Das alles mussten die ersten Christen erst mühsam lernen, dass Jesus nicht nur die Brücke zwischen Gott und Mensch ist für das Seelenheil des Einzelnen, sondern dass er auch die Brücke zwischen Mensch und Mensch ist für eine grenzüberschreitende Gemeinschaft untereinander. Und selbst nachdem sie es gelernt hatten, musste der Apostel Paulus sie in seinen Briefen immer wieder neu daran erinnern.
Da verwundert es nicht, dass in den 2000 Jahren Christentumsgeschichte es selbst in der Kirche des Jesus Christus, der die Brücke zwischen allen Unterschieden nicht nur errichtet hat, sondern der selbst diese Brücke ist, uns Christen immer wieder gelungen ist, neue Grenzen aufzurichten. »Wie aus Grenzen Brücken werden«, das ist also nicht ein abgeschlossener Lernprozess in der Kirche, sondern das bleibt auch für uns eine stete Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Grenzen und Brücken im Umgang der Konfessionen untereinander, das ist häufig Thema in unseren ökumenischen Gesprächen und Gottesdiensten. Aber es gibt noch viele andere Grenzen, die unter uns immer wieder aufgerichtet werden. In unseren Gottesdiensten treffen sich ganz unterschiedliche Menschen. Da sind Menschen unterschiedlicher Generationen, Eltern und Kinder, Großeltern und Enkelkinder. Da sind Männer und Frauen, Berufstätige und Arbeitslose, Reiche und Arme, Menschen mit und ohne Behinderungen und und undÉ
Im Gottesdienst erleben, dass aus Grenzen, die uns trennen, Brücken werden, die uns zueinander führen. Aber merkwürdig, sobald wir die Kirche wieder verlassen, gewinnt man draußen oft den Eindruck, dass all die Grenzen, die im Gottesdienst keine Rolle spielen, im Alltag der Welt nicht überwunden sind.
Da gibt es Generationenkonflikte, nicht nur in den Familien, sondern in unserer ganzen Gesellschaft, gerade in letzter Zeit, wo der Wert alter Menschen von schnöseligen Jungpolitikern nach Kostenstellen in der Gesundheits- und Rentenpolitik gemessen wird. Da gibt es Geschlechterkonflikte, wo die Gleichberechtigung von Männern und Frauen nur auf dem Papier zu bestehen scheint. Da gibt es Sozialkonflikte, wo Arbeitslosigkeit dann doch ein Makel ist, der den braven Steuerzahler nur Geld kostet und Menschen mit Behinderungen in Ferienhotels als störend empfunden werden.
Ganz zu schweigen von der längst nicht überwundenen Fremdenfeindlichkeit, die beim besten Willen kein deutsches Phänomen ist, sondern die sich in vielen Ländern immer dann breit macht, wenn angesichts schwieriger sozialer Verhältnisse ein Sündenbock gebraucht wird, auf den man die Schuld abwälzen kann.
Grenzen entdecken wir im Alltag der Welt immer wieder. Grenzen, die uns voneinander trennen, Grenzen, mit denen wir andere ausgrenzen.
Solche Ausgrenzungen sind aber nicht im Sinne dessen, in dessen Namen wir uns im Gottesdienst versammeln, Grenzen sind nicht im Sinne dessen, in dessen Geist wir singen, beten und Abendmahl feiern.
»Dass aus Grenzen, die uns trennen, Brücken werden, die uns zueinander führen«, das darf nicht nur im Gottesdienst Wirklichkeit werden. Das muss sich auch im Alltag der Welt bewähren. Und wir, die wir Jesus nachfolgen, sind herausgefordert, uns dafür im Alltag der Welt einzusetzen. Wir, die wir in unseren Gottesdiensten erleben, wie aus Grenzen, die uns trennen, Brücken werden, die uns zueinander führen, sind dazu berufen, auch im Alltag der Welt Brücken zu bauen und Grenzen zu überwinden.

Artikel vom 27.01.2007