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»Nachbarschaft wird zerschnitten«

Wolfgang Karmeier sieht Chancen, Autobahnbau zu kippen - Vertrauen in Justiz

Von Claus Brand (Text und Fotos)
Bad Oeynhausen-Werste (WB). »Die Natur. Die Ruhe. Damit wäre es vorbei«, sagt Wolfgang Karmeier. Der 55-jährige Frührentner lebt von Kindesbeinen an der Handwerkerstraße. Die Hausnummer 24 ist für ihn zur Schicksalszahl geworden. Wird die Nordumgehung gebaut, führt eine Lärmschutzwand nur vier Meter nördlich seines Hauses durch den Garten, und zwar dort, wo jetzt noch Apfelbäume stehen.

Dass sich an der Verkehrssituation etwas ändern muss, stellt der ehemalige Maler nicht in Abrede. »Die Nordumgehung ist aber keine solche, sondern eine Nordzerschneidung«, sagt er am Küchentisch sitzend und zieht an seiner Pfeife. Sie raucht besonders kräftig, wenn er über die Nordumgehung spricht oder alleine grübelt, wie es »auf meiner Scholle« während und nach einem Bau der Autobahn zugehen würde. Mitstreiterin an seiner Seite ist seine Mutter Marie, die im Dezember 96 Jahre alt geworden ist und im von ihren Schwiegereltern Ende des 19. Jahrhunderts gebauten Haus seit Jahrzehnten lebt. »Dass die mir das in meinem Alter noch antun«, ist sie empört. »Die Nachbarschaft, viel Besuch haben, mit den Menschen reden können.« So beschreibt sie ihr Rezept für ein langes Leben. »Die Nachbarschaft würde mit dem Bau der Nordumgehung zerschnitten«, malt sie sich dieses Szenario am liebsten erst gar nicht aus. Nachbarin Edith Meinsen (74), besucht sie täglich, liest ihr aus der Zeitung vor. Ihr Sohn erklärt: »Wird die Autobahn so gebaut, verlieren wir den Kontakt zu unseren Nachbarn und viel Lebensqualität.« Um sie zu besuchen, müsse man dann die Überführung an der Bergkirchener oder der Stüher Straße nutzen.
Von der bei einigen Nordumgehungsgegnern eingekehrten Haltung, man könne jetzt ja doch nichts mehr ändern, hält Wolfgang Karmeier nichts. »Wir schaffen das.« Damit meint er, den Bau der Nordumgehung zu kippen. Er vertraut auf den Sachverstand beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Seinen Optimismus begründet er unter anderem damit, dass man feststellen werde, dass das Thema Quellenschutz im Zuge der Variante Troglösung nicht ausreichend untersucht wurde, »und dies durchaus eine Alternative ist.« Auch die Südumgehung hält er für die bessere Lösung. »Dort wären weitaus weniger Menschen betroffen.«
Verständnis hat er für die Menschen an der Mindener Straße, Kanalstraße und der Werster Straße, die die hohe Verkehrsbelastung leid sind. »Nur«, meint er, »viele haben noch gar nicht erkannt, was mit der Nordumgehung auf sie zukommt, auch wenn sie nicht direkt an der Trasse wohnen.« Er erklärt es mit einem Beispiel: »Wenn ich im Sommer mit meiner Mutter mitunter bis zehn Uhr abends vor dem Haus sitze, hören wir Nordbahn, A 30 und den Verkehr auf der Minder Straße.« Darunter würden auch die Menschen in Werste leiden, »denen dann der Lärm der Nordumgehung serviert wird.« Die vom Nordwestwind ins Werretal getragene Schadstoffbelastung durch Abgase komme noch hinzu.
»Zu verkaufen. Daran habe ich keinen Danken verschwendet«, sagt Wolfgang Karmeier, der auch für den Landesbetrieb Straßen in Minden zu den am härtesten Betroffenen zukünftigen Anwohnern der Trasse gehört. »Ich will hier alt werden, nirgendwo anders«, sagt er und gibt erst in einem Nachsatz zu: »Wenn der Lärm gar nicht zu ertragen wäre, dann würde ich . . .« Das Wort »weggehen« kommt ihm nicht über die Lippen.
Dennoch hat er die Konsequenz schon bedacht: »Dann könnten wir wohl nur in eine Mietwohnung ziehen. Wer will schon unser Haus kaufen oder mieten? Niemand«, formuliert er Frage und Antwort.
Mit seinem Willen zum Widerstand steht er nicht allein. Nächste Woche bekommt er Hausbesuch von Klaus Rasche, Vorsitzender der Notgemeinschaft. »Dann geht es um die Vorbereitung der Klage gegen die Pläne, auf die er all seine Hoffnungen setzt.

Artikel vom 26.01.2007