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Trümmer und Tränen nach der Sturm-Nacht mit Orkan »Kyrill«

Keiner darf mehr in den Wald - Bis zur völligen Erschöpfung im Einsatz

Kreis Paderborn (WV). Erst das Tageslicht hat am Freitagmorgen das ganze Ausmaß der Orkan-Nacht vor Augen geführt. Vielen Menschen standen Tränen in den Augen, als sie die Schäden an Häusern, Feriendörfern, Hallen und Firmengebäuden sahen. Der Orkan »Kyrill« hat im Paderborner Land fürchterlich gewütet. Mehrere tausend Häuser sind beschädigt. Gottlob sind hier keine Todesopfer zu beklagen. Landrat Manfred Müller beziffert aber allein den Sachschaden auf mehrere hunderttausend Euro.

Selbst ältere Menschen können sich kaum an einen schlimmeren Sturm erinnern. 100 umgekippte Bäume haben den Wohnpark in Lippling in ein Trümmerfeld verwandelt. Die kupferne Kirchturmbeplankung in Benhausen wurde wie mit einem Reißverschluss aufgezogen. Im Gewerbepark »Pfingstuhlweg« in Bad Lippspringe deckte der Sturm Dächer an zwei Unternehmensgebäuden ab. Die Firma Mersch in Delbrück hat nach einem Großbrand vor zwei Jahren und enormer Aufbauleistung jetzt durch den Orkan das Firmengebäude verloren.
In Sande am Mühlengrund kippten reihenweise alte Eichen mitsamt Wurzelballen um. Ein Stamm knallte auf das Wohnhaus der Familie Rybka. Im Paderborner Gewerbegebiet »Benhauser Straße« machte sich das Wellblechdach einer Lagerhalle selbständig. Die gefährlichen Trümmer flogen bis zu 250 Meter weit und beschädigten Nachbargebäude und Autos.
In Leiberg ist das Schützenhallendach zertrümmert. Die Schadenslisten sind ellenlang. Vor Versicherungsbüros standen Menschen in und um Paderborn gestern Schlange.
Ein Bild der Verwüstung bieten auch die Wälder. Ganze Bestände wie im Haarener Wald sind abrasiert. Das Paderborner Forstamt hat ein Waldbetretungsverbot erlassen. Auch das Sammeln von Brennholz ist bis auf weiteres untersagt. »In unseren Wäldern besteht Lebensgefahr«, sagte Forst-Pressesprecher Jan Preller (30). Der Forst will zunächst Verkehrsstraßen und Waldwege von umgestürzten Bäumen befreien, um erst später die Schäden im 24 000 großen Hektar Staatswald zu inspizieren. Wer trotz Verbot den Wald betritt, muss mit einem Ordnungsgeld rechnen. Auch der Truppenübungsplatz Senne bleibt am Wochenende dicht.
Die Stadt Paderborn empfiehlt, den Stadtwald (Haxtergrund, Fischteiche, Mastbruch), aber auch den Westfriedhof sowie in Schloß Neuhaus den Waldfriedhof zu meiden. Fast 30 entwurzelte Bäume sind auf diesen beiden Friedhöfen umgestürzt.
Feuerwehrmänner befreiten unter Lebensgefahr in Hövelhof einen schwer verletzten Autofahrer, auf dessen Auto zwei Bäume gefallen waren. Dabei spielten sich dramatische Szenen ab, als sich Feuerwehrmänner während der Rettung immer wieder vor herabstürzenden Bäumen in Sicherheit bringen mussten.
Bei insgesamt 30 sturmbedingten Verkehrsunfällen wurden fünf Personen verletzt. Die Kreuzung am Westerntor in Paderborn war in der Nacht zum Freitag eineinhalb Stunden gesperrt, weil die Feuerwehr einen Baum fällen musste.
Die Lage spitzte sich dramatisch zu, als in Altenbeken ein brennender Baum auf einem Intercity-Zug (IC) mit 110 Fahrgästen lag. Die Egge-Wehr löschte den Brand und verhinderte vielleicht eine Katastrophe. Die Fahrgäste wurden in der Eggelandhalle und in Paderborn von der Bahnhofsmission betreut.
Die Arbeit der Feuerwehr wurde erschwert, weil Störtöne den Funkverkehr zum Teil lahmlegten. Der Störsender mit einem nervenden »Brummton« (Hilkenbach) wechselte den Standort zwischen Kapellenberg Büren, Buke, Salzkotten und Kreishaus. Die Bundesnetzagentur ist eingeschaltet, um den Störsender zu ermitteln.
Fast bis zur körperlichen Erschöpfung waren 812 (!) Kräfte aus Feuerwehren, Technischem Hilfswerk und Hilfsdiensten wie DRK und MHD im Einsatz. 635 Feuerwehreinsätze innerhalb eines Tages hat es noch nie gegeben. »Die Telefone klingelten pausenlos«, sagte Ulrich Hilkenbach (50), Leiter der Leitstelle in Ahden. 765 (!) Notrufe gingen bei der Polizei ein, die mit 28 Streifen 280 Einsätze fuhr.

Artikel vom 20.01.2007