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Von Michael Robrecht

Höxteraner
Aspekte

Armut ist Alltag


»Die Deutschen sind so reich wie noch nie zuvor«, lief in dieser Woche eine Meldung durch alle Medien. Im krassen Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass es in Ostwestfalen Anfang 2007 mehr Tafeln, Tische und Suppenküchen gibt als je zuvor. »Steinheim-Tisch«, »Tischlein deck dich« in Brakel oder »Höxter-Tisch« heißen die Einrichtungen im Kreis Höxter, deren oberstes Ziel die Bekämpfung der versteckten Armut ist. Lebensmittel für bedürftige Menschen, die durch gestiegene Lebenshaltungskosten, teure Mieten, Arbeitslosigkeit, Hartz IV und ungünstige Lebenssituationen nicht mehr die elementarsten Dinge kaufen können, werden angeboten und gern genommen. Alltag 2007.
Auffallend viele allein erziehende Mütter und Rentner kommen zu den meist einmal wöchentlich geöffneten Hilfsstellen, wie in der Corbiestraße 6, wo die Caritas Höxter Lebensmittel anbietet.
Trotz unseres sozialen Netzes existiert im Kreis Höxter mehr Armut als wir denken. Es gibt nicht wenige Menschen, die scheuen den Gang zum Sozialamt und haben deshalb kaum Geld fürs Essen. Die Ehrenamtlichen berichten in Höxter oder Brakel davon. Frisches Gemüse, Obst, Molkereiprodukte, Brot, Babynahrung und vieles mehr werden von Sponsoren, zumeist Supermärkte und Bäckereien, täglich gespendet, von ehrenamtlichen Tafel-Helfern an Bedürftige verteilt. Eine schnelle und unbürokratische Hilfe.
»In Deutschland ist jedes fünfte Kind arm.« Das sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Und in dem Magazin »Aus Politik und Zeitgeschichte« wird berichtet, »jedes siebte Kind (zwei Millionen)« lebe in einem Haushalt, »der als relativ arm einzustufen ist«. Die Armut unter Kindern, so steht es auch im Sozialbericht der Bundesregierung, habe seit 1998 deutlich zugenommen. Nach dieser Einschätzung leben in Deutschland »15 Prozent der Kinder bis 14 Jahre und 19,1 Prozent der Jugendlichen bis 24 Jahre unterhalb der Armutsschwelle«. Tendenz steigend!
Die Theorie kennen wir, die Praxis inzwischen auch - in Brakel, Holzminden oder Höxter. Wer die große Resonanz bei »Tischlein deck dich« in Brakel und bei der Lebensmittelausgabe des »Höxter Tisches« gesehen hat, der trifft dort Menschen mit ALG II-Bescheid, denen es wirklich nicht gut geht. Auch Familien mit Kindern: 150 Schüler werden allein in Höxter von den Caritashelfern mit versorgt. Man glaubt die Zahl kaum.
Kleidung für Grundschulkinder wird in den Kleiderkammern wie Brakel stark nachgefragt. In Höxter soll auch so eine Kammer in der Corbistraße aufgebaut werden. Auch Gabriele Popp-Linder vom Kinderschutzbund könnte Abende von den Nöten der Familien und Kinder erzählen. Armut, das wissen wir alle, ist schlimm. Und besonders Kinderarmut hat Folgen. Gern geredet wird darüber nicht. Experten sehen in der Kinderarmut sogar eine Ursache für das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler in der Pisa-Studie, denn das Schulsystem sei nicht in der Lage, soziale Ungleichheit zu kompensieren.
Zur Bekämpfung von Armut braucht man eigentlich nur eines: Geld. Kinder kosten Geld. Finanzielle Unterstützung des Staates hilft aber nicht alleine aus der Armut heraus. Vielmehr sind Politik und Wirtschaft gefragt. Eine gute Wirtschaftspolitik ist auch eine gute Sozialpolitik. Und: Man hat den gefühlten Eindruck, als wären wir in Sachen Armutsvermeidung von breiteren Schichten nach 1945 schon einmal viel weiter gewesen.

Artikel vom 13.01.2007