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»Verdammt, der hat ja recht...«

Urban Priol raufte sich die Haare - und nahm das Jahr 2006 auseinander

Von Kai Hasenbein
Paderborn (WV). Seine Profession: die schwindenden Haare raufen. Sein Leistungsnachweis: allabendlich sicht- und hörbar. Sein Erfolg: beachtlich! Urban Priol, scharfzüngiger Nörgler und TV-bekannter Eiferer, riss in der ausverkauften Paderhalle das vergangene Jahr wortgewaltig vor sein persönliches Strafgericht.

Ja, Kopfschmerzen und Magenbeklemmungen würden ihn wohl an den Rand des Wahnsinns treiben, dürfte er nicht Abend für Abend die Grotesken, Skandale und Ungeheuerlichkeiten in die Gegend posaunen, die die Welt seines scharfen Sinnes gehörig verdunkeln. Ob Gammelfleisch oder Technikklau, Abfall waschende Deutsche oder Problembär, Guantanamo oder VW-Affäre, Kongo-Mission oder die Hafenbeauftragte der Bundesrepublik: Urban Priol ist der Rächer der missglückten Regierungsversuche und der verdrängten Affären.
Während heutzutage viele Kabarettisten und Comedians ihr Heil in Temporeichtum und Bühneneffekten suchen, müssen es Priols Zuschauer standhaft vermögen, stundenlang zuzuhören. Und mehr noch: Viel mehr als der Füllstand seines Weizenbierglases bewegt sich auf Priols Bühne nicht - höchstens noch seine Haare, denn kein Haarspray der Welt vermag solch ein Markenzeichen im Stile eines Vogelnestes dauerhaft in Zaum zu halten. Aber sonst regieren die Künstlerpersönlichkeit, ihr Gestus und ihr gestrenges Wort.
Über weite Strecken gelang es Priol, das Publikum in der mit 950 Zuhörern ausverkauften Paderhalle an sein Wort zu fesseln. Schade, dass er an wenigen Stellen des Programms auf die Effekt heischende Verpuffung setzte, statt auf das kontinuierliche Glimmen seiner feinen Analysen zu vertrauen: Wenn er Angela Merkel als ein »in ihren Hosenanzug hineingesprengtes Ostgesteck« oder »Besatzerliebchen« verunglimpfte, verließ er unnötig seinen ungefährdeten kabarettistischen Gefechtsstand, um mit solchen Blendgranaten den schnellen Lacher und die billige Pointe zu erwirken. Aber diese Atze-Schöder-Anleihen blieben zum Glück die Ausnahme in einem sonst stellenweise brillanten Programm.
Zumeist trafen die schonungslosen Analysen genau ins Schwarze, ebenso wie die grandiosen parodistischen Leistungen: Wer bei seinem Nachahmen Stoibers die Augen schloss, geriet schnell in Versuchung zu glauben, hoher Besuch aus Bayern halte Hof.
Gut, dass es die Priols, Pispers' und vergleichbare Scharfzüngler gibt: Auch die viel zitierte Zeit kann ihre schmerzenden Wunden nicht heilen - und in ihrer Werkschau dessen, was in Deutschland und der Welt so angerichtet wurde, zeigen sie ein Elefantengedächtnis für Fehltritte kleiner und großer Leute. So ertappten sich viele Zuschauer nach der Vorstellung bei ähnlichen anerkennenden Worten, wie sie eine Zuschauerin respektvoll aussprach: »Verdammt, der hat ja recht. . . !«

Artikel vom 12.01.2007