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»Im Januar flogen die Bienen aufs Schönste«

Laut Notizen in Erbauungsliteratur gab es 1817 einen ungewöhnlich milden Winter

Von Klaudia Genuit-Thiessen
Halle-Bokel (WB). Der Pastor fand das Wetter so seltsam, dass er es in sein Evangelien-Buch schrieb: Schon 1817 gab es einen ungewöhnlich warmen Winter, vermerkte der Chronist in der »Evangelischen Prediger-Hirten-Stimme«. Das 1785 erschienene Buch mit den Notizen übers Wetter hat bei dem Bokeler Ehepaar Reinhard und Ursula Wiesner einen Ehrenplatz bekommen.

Die Umstände sind mit heute kaum vergleichbar. Denn das 670 Seiten starke Stück Erbauungsliteratur, das in Hirschberg von Immanuel Krohn verlegt worden ist, hat auch als 13. Ausgabe seinen Dienst zweifellos im Osten Deutschlands getan, dort, wo es eigentlich ganz andere Winter als in Ostwestfalen gegeben haben muss.
»1817 hatten wir so einen warmen Winter, daß im Januar die Bienen auf das Schönste flogen. Am 7. Februar hatten wir ein Gewitter, daß es in Linda in Sachsen einschlug, nebst einem großen Sturm . . . und viele Bäume zerbrochen«, hat dort zweifellos ein Geistlicher mehr oder weniger leserlich in Sütterlin notiert. Ob es Gottfried Kleiner war, »vorhero Pfarrer zu Seifersdorf im Liegnitzischen Fürsthentum, hernach aber Evangelischer Pastor zu Freyburg unter Fürstenstein«. Von dem stammt nämlich eine Kirchweih- und Christnachts-Erbauung in dem Buch, das Reinhard Wiesner 1973 in Breslau gekauft hat. Bei der ersten Studienfahrt der Vhs Ravensberg ins einstige Schlesien ist es ihm beim Stöbern in einem Antiquariat aufgefallen. »Ich habe es für ein paar Zloty in Polen gekauft und gehofft, dass es an der Grenze niemandem auffiel«, erinnert sich Reinhard Wiesner an seinen Zufallsfund von damals.
Der 52-jährige Haller, dessen Vater aus dem schlesischen Waldenburg, stammt, dachte anfangs an eine Bibel. Doch beim genaueren Hinsehen stellte sich heraus, dass der in braunes Leder gebundene Wälzer zur »Approbation einer Hochwürdigen Theologischen Fakultät der Universität Leipzig« diente. Die »Erbaulichen und Gottseligen Betrachtungen über die Evangelien . . . nebst Eilf Paßions-Betrachtungen über das 26. und 27. Kapitel Matthäi« sind bei Wiesners richtig ins Licht gerückt worden. Eine Marienfigur aus Lindenholz, ein Fundstück von einem Abrisshaus an der Langen Straße, thront über dem schmiedeeisernen Halter, wo das sicher kostbare christliche Werk bestens ins Auge fällt. Reinhard Wiesner, nach einer Herzerkrankung Frührentner, und seine Frau Ursula haben ein Herz für alte Schätzchen. Wiesner: »Hin und wieder schlagen wir das Buch auf und finden darin Worte, die für uns geschrieben zu sein scheinen«.

Artikel vom 10.01.2007