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Ein Landarzt muss immer den ganzen Menschen sehen

Bilanz einer 20-jährigen Medizinertätigkeit in Pr. Oldendorf - Interview mit Dr. Ernst-Rüdiger Osterhoff


Vor zwei Jahrzehnten ließ sich Dr. med. Ernst-Rüdiger Osterhoff als Allgemeinmediziner in Pr. Oldendorf nieder. Im Gespräch mit WB-Redakteur Wilfried Mattner blickt er auf seine 20-jährige Tätigkeit als Arzt »am Wiehen« zurück und zieht Bilanz -Ê die für die Menschen und die kleine Stadt durchaus positiv ausfällt.


Weshalb haben Sie sich damals für Pr. Oldendorf als Praxisort entschieden?
Dr. Osterhoff: Ich habe mich für den Praxisort Pr. Oldendorf entschieden, da meine Frau als gebürtige Leveranerin in Pr. Oldendorf groß wurde und weil es uns schon von Anfang an in Pr. Oldendorf enorm gut gefallen hat.

Was gefällt Ihnen an Pr. Oldendorf besonders gut, was empfinden Sie als negativ?
Dr. Osterhoff: Ich schätze den unmittelbaren und schnell entstehenden vertrauten Kontakt zu den Menschen in Pr. Oldendorf. Nach meiner Einschätzung können die Menschen hier auf ihren Ort aber erheblich stolzer sein als sie sind. Pr. Oldendorf braucht sich hinter Rahden, Lübbecke und Bad Essen nicht zu verstecken. Nirgendwo kann man besser als in Oldendorf unmittelbar aus fußläufigen Strukturen in das Wiehengebirge hinein. Gleichzeitig kann man auch bis Holland auf Flachstrecken mit dem Fahrrad fahren.

Sie würden sich also heute nochmal für Pr. Oldendorf entscheiden?
Dr. Osterhoff: In jedem Fall.

Haben sich die Ansprüche der Patienten an den Mediziner - und damit die Anforderungen an ihn - innerhalb der letzten 20 Jahre verändert bzw. erhöht?
Dr. Osterhoff: Die Ansprüche der Patienten haben sich nicht gewandelt, ganz im Gegenteil. Durch den langjährigen Kontakt sind viele Arzt-Patienten-Kontakte erleichtert. Erhöht hat sich der Aufwand an unsinniger, durch Politik ausgelöste Bürokratie, unter der gerade die älteren Menschen zu leiden haben.

Hat sich die Arbeitsbelastung in den vergangenen zwei Jahrzehnten geändert - und wenn ja, wie?
Dr. Osterhoff: Enorm. Aus zwei bzw. drei Krankenkassenanfragen pro Quartal 1987 werden manchmal zehn pro Woche - und diese sind in ihrer unlogischen Unsinnigkeit in Teilen kaum zu überbieten. Das heißt übersetzt: Bürokratie stiehlt uns Ärzten die Arbeitszeit für Patienten.
Nach Rückfrage bei einem Juristen kann man sagen, dass die niedergelassene Ärzteschaft mit gesetzgeberischen Maßnahmen sowie Ausführungsbestimmungen und Kommentaren in einer Größenordnung von bestimmt 20 000 DIN A4 Seiten überfrachtet wurde.
Es ist einfach gar nicht möglich, diesen Anforderungen, die ganze Heerscharen von Bürokraten entwickelt haben, gerecht zu werden.

Was unterscheidet eine ländliche von einer städtischen Praxis?
Dr. Osterhoff: Der Kontakt zu den Patienten ist persönlicher und unmittelbarer. In einer städtischen Praxis überwiegt die Anonymität.

Wie hält sich ein »Landarzt« beruflich auf dem Laufenden?
Dr. Osterhoff: Durch Fortbildungen, Zeitschriften, Internet und in meinem speziellen Fall durch die Nutzung verschiedener berufspolitischer Kontakte. Dies erleichtert den Zugang in Klinik- und Praxisstrukturen enorm, um zum Beispiel hospitieren zu können.

Muss ein Landarzt neben der rein medizinischen Betreuung auch die »Seele« der Patienten berücksichtigen?
Dr. Osterhoff: Als Allgemeinarzt auf dem Lande muss man die Bereitschaft, generalistisch zu denken, mitbringen. Das heißt, es muss immer der gesamte Mensch gesehen werden. Ein Zerfleddern eines Menschen in Organe lässt ein Allgemeinmediziner gar nicht zu.

Wie sieht es mit dem beruflichen Nachwuchs auf dem Lande aus?
Dr. Osterhoff: Insgesamt eher sehr negativ. Nach den mir vorliegenden Zahlen werden zum Beispiel im Altkreis in den nächsten fünf bis zehn Jahren wenigstens 30, eher mehr Praxen verwaisen. Der allgemeinmedizinische Nachwuchs wird nur durch Lippenbekenntnis, nicht jedoch faktisch gefördert. Die Zukunft des Altkreises und nicht nur des Altkreises wird so aussehen, dass der Moloch Krankenhaus als politisch-bürokratisches Steuerungsinstrument jede Menge Aufgaben der Niedergelassenen versuchen wird, an sich zu reißen; und dies unter einer enormen Kostenverteuerung. Bedauerlicherweise wird dies von vielen niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen nicht so gesehen.
Die Möglichkeit für die Zukunft sehe ich so, dass in Stemwede, Rahden, Lübbecke, Espelkamp, Hüllhorst und Pr. Oldendorf lediglich noch eine Großpraxis existieren wird. Diese trägt dann den Begriff Medizinisches Versorgungszentrum. Von einer zentralen Stelle müssten die medizinischen Versorgungszentren gesteuert werden. Dies auch bei klarer Abgrenzung zum Krankenhaus, damit das Krankenhaus sowie die Niedergelassenen ständig neu ihre gemeinsamen Schnittstellen zum Wohle des Patienten finden können.

Wie beurteilen Sie mittelfristig die Zukunftsaussichten einer Landarztpraxis?
Dr. Osterhoff: Die Zukunftsaussichten für eine Allgemeinarztpraxis sind insgesamt sehr schlecht, da die Politik ganz speziell von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt flächendeckend Versorgung sukzessiv durch gesetzgeberische Maßnahmen zerstört.

Artikel vom 06.01.2007