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Heiter wirkt
das Gift im
Holunderwein

Komödienklassiker in Kammerspielen

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Gut zwei Dutzend Leichen liegen auf, unter und hinter der Bühne. Da ist einem normalerweise nicht zum Lachen zumute. Es sei denn, es handelt sich um eine so brillante Klamotte wie »Arsen und Spitzenhäubchen«.

Mit diesem Klassiker der Schwarzen Komödie gehen die Westfälischen Kammerspiele leicht und beschwingt in das neue Jahr, und das Publikum zeigt sich von der ersten Sekunde an von der Inszenierung fasziniert. Beifall brandet in der Premiere am Donnerstag bereits auf, bevor noch das erste Wort gesprochen ist. Den spontanen Sonderapplaus verdient sich Ausstatterin Monika Frenz für das detailverliebte, plüschige Bühnenbild, als der rosarot angestrahlte Bühnenvorhang zur Seite gleitet.
Man befindet sich in einer altmodischen amerikanischen Wohnstube, die zur Entstehungszeit des Bühnenstücks von Joseph Kesselring (1939) bereits Museumsreife hätte beanspruchen können. Jagdtrophäen und Souvenirs aus unterschiedlichen Kontinenten zeugen von der kolonialen Vergangenheit der Familie, die jetzt nur noch durch die beiden betagten Schwestern Abby und Martha Brewster und ihre drei ganz unterschiedlichen Neffen repräsentiert wird. Nachbarn und Freunde gehen in dem scheinbar gastfreundlichen Haus ein und aus. Die älteren alleinstehenden Herren, die sich bei den Schwestern einmieten wollen, verschwinden aber schon bald auf Nimmerwiedersehen im Keller - unter dem Vorwand religiöser Daseinserfüllung werden sie mittels vergifteten Holunderweins ins himmlische Jenseits befördert...
Isabel Zeumer und Monika Werner geben die schrulligen Sterbehelferinnen als überaus liebreizendes Schwesternpaar, dem auch die regelmäßig vorbei schauenden Streifenpolizisten (Marian Funk, Dominic Gutsche) keinerlei Boshaftigkeiten zutrauen. In ihrem schizophrenen Neffen Teddy (Thomas Heller), der sich für den amerikanischen Präsidenten hält und persönlich den Bau des Panamakanals beaufsichtigt, finden sie einen dienstbaren Helfer, der ihnen bei der Vertuschung ihrer Verbrechen zur Seite steht. Nur Neffe Mortimer kommt ihnen zufällig auf die Spur.
Johann Schiefer, als Debütant erst seit Spielzeitbeginn im Kammerspiel-Ensemble engagiert, bewältigt die schweißtreibende und anspruchsvolle Aufgabe des einzigen um Recht und Wahrheit bemühten Akteurs mit großer Spielfreude. Ohne die Loyalität zu seinen Tanten aufzugeben, sucht er nach Auswegen aus dem Dilemma, muss zugleich seine noch ahnungslose Verlobte (Sarah Diener) ablenken und sich zudem der Zugriffe seines plötzlich aufgetauchten Bruders, eines gesuchten Schwerverbrechers, erwehren.
Eben jener Jonathan Brewster ist die kühnste Figur der Krimikomödie. Die Maskenbildnerin hat bei Willi Hagemeier wirklich ganze Arbeit geleistet und ihm so überzeugend das Konterfei des einstigen »Frankenstein«-Monsters Boris Karloff verpasst, dass man bei seinem schaurigen Grinsen, den zuckenden Händen und dem staksigen Schritt jederzeit um den Rest der Familie fürchten muss. Mit seinem unterwürfigen Helfer, dem merkwürdigen Doktor Einstein (Christian Onciu), will er selber eine Leiche im Hause seiner Tanten los werden.
Ergänzt wird das Spielensemble noch um Frerk Brockmeyer, der als Polizeioffizier Rooney zumindest den gesuchten Mörder wieder dingfest macht, sowie Helmut Thiele, der gleich in drei köstliche Rollen schlüpfen darf. Er spielt den Pfarrer, dazu einen noch eben seinem Schicksal entrinnenden möblierten Herrn sowie - mit köstlichem »Tick« - den Anstaltsleiter Mr. Witherspoon.
Der überaus herzliche Schlussapplaus des Premierenpublikums gilt nach zweidreiviertel Stunden gleichermaßen den spielfreudigen Akteuren als auch der Ausstatterin und der Regisseurin Katarina Kokstein, die mit leichter Hand für eine rundum geglückte Inszenierung gesorgt hat. Die mit zahlreichen szenischen Gags und skurrilen Regieeinfällen - etwa ein U-Boot-Sichtgerät als Türspion - gespickte Aufführung steht noch bis Ende Januar auf dem Spielplan. Karten können an der Theaterkasse (Ruf 05251/ 88-2634) reserviert werden. Kultur

Artikel vom 30.12.2006