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»Fall Kevin wird es nicht geben«

Löhner Sozialarbeiter arbeiten mit Kitas und Schulen zusammen - Aktion gestartet

Von Per Lütje
Löhne (LZ). Der kleine Kevin musste auch deshalb sterben, weil die zuständige Bremer Sozialbehörde versagte. Zwei Monate sah sie nicht nach dem Jungen, zwei Monate, in denen der zweieinhalb Jahre alte Jungte qualvoll starb. »So etwas kann hier nicht passieren«, sagt Dietrich Stuke.

Der 49-Jährige ist einer von sechs Bezirkssozialarbeitern der Stadt Löhne und mit dem Fall Kevin bestens vertraut. »Ich habe mir die Akte durchgelesen. Da waren eine Reihe von Dingen, die wir so niemals gemacht hätten.« Dort habe man sich unter anderem viel zu lange von den drogensüchtigen Eltern vertrösten lassen, was eine Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden angeht. »Das hätten wir uns bestimmt nicht so lange angeguckt«, ist sich der Diplom-Sozialarbeiter sicher.
In Fällen wie Kevins, wenn Erwachsene Ihrer Elternrolle offensichtlich nicht mehr gerecht werden können, kann das Löhner Sozialamt schnell reagieren. »Wir haben zum Beispiel Pflegefamilien, die kurzfristig Kinder aufnehmen können«, sagt Stuke. Zudem gibt es eine Kooperation mit der Jugendhilfe Schweicheln. »Dort können wir Jugendlichen, deren Wohl zu Hause gefährdet ist, rund um die Uhr eine Unterkunft und Betreuung anbieten.«
Oft seien es Nachbarn, die beim Löhner Sozialamt anriefen, weil sie einen Fall von Kindesvernachlässigung oder sogar -misshandlung vermuten. »Dass kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Kind stundenlang schreit, was darauf schließen lässt, dass es allein zu Hause ist. Dann setzen wir uns sofort ins Auto, um uns vor Ort ein Bild zu machen«, sagt der Diplom-Sozialarbeiter. Bestätigt sich der Verdacht, und auch in der Nachbarschaft ist kein Schlüssel aufzutreiben, muss das Türschloss dran glauben, und das Kind wird zumindest vorübergehend in Obhut genommen. »Auch wenn uns die Eltern anschließend glaubhaft machen können, dass sie eigentlich nur zehn Minuten weg sein wollten und zum Beispiel aufgrund eines Staus zu spät gekommen seien, müssen sie bereit sein, mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten«, sagt Dietrich Stuke. Dazu gehörten auch unregelmäßige und unangekündigte Besuche.
13 solcher Fälle, in denen das Jugendamt auf Missstände hingewiesen wird, wurden bislang im Jahr 2006 gezählt. 16 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und 18 Jahren befinden sich derzeit unter der Obhut der Stadt.
Dass die Dunkelziffer an vernachlässigten oder misshandelten in Löhne sehr hoch ist, glaubt der Bezirkssozialarbeiter nicht. »Es gibt genügend Kontrollmechanismen, durch die wir erfahren, wenn Kinder in einer Notlage sind. Dazu zähle ich zum Beispiel den Kindergarten oder auch die Grundschule«, sagt Stuke. Auch deshalb stehe man ständig in Kontakt mit solchen Einrichtungen und tausche sich aus.
Erst kürzlich hatte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gefordert, dass alle Kinder in regelmäßigem Abstand ärztlich untersucht werden müssen, um Spuren von Misshandlungen rechtzeitig zu entdecken. »Wir haben in Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt an der Schützenstraße ein Modell gestartet, dass in die ähnliche Richtung geht«, sagt Dietrich Stuke. Mitarbeiterinnen würden Kontakt zu Kliniken und Gynäkologen aufnehmen, um diese für das Thema Kindesmisshandlung und -missbrauch zu sensibilisieren. »Außerdem nennen wir Hilfestellungen. Denn jede Mutter, die sich mit ihrem Kind überfordert fühlt, und Hilfe haben möchte, erhält diese auch von uns.«
So gebe es eine weitere Kooperation mit einer Paderborner Einrichtung, in denen Mütter mit ihren Kindern betreut werden. Ziel ist es, dass sie nach ein bis zwei Jahren in der Lage sind, ihre Kinder selbst in einer eigenen Wohnung zu versorgen. Denn jeder soll auch die Chance erhalten, sich zu ändern.

Artikel vom 19.12.2006