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Weckrufe
an das
Christkind

Treffen der Adventssänger

Von Stephan Rechlin
(Text und Fotos)
Gütersloh (WB). Es ist dunkel, es ist kalt, es ist viel zu früh für einen Sonntagmorgen. Also alles genau richtig, um fröhlich ein Adventslied zu singen. In Gütersloh haben solche Konzerte Tradition.

In 18 dem Ordnungsamt und der Polizei bekannten Gruppen ziehen die Adventssänger an den Sonntagen vor Heilig Abend in aller Herrgottsfrühe durch die Straßen und schmettern eine feststehende Liedfolge. Am ersten Advent wird »Sag, wie soll ich Dich empfangenÉ« gesungen, am zweiten »MachtÕ hoch die TürÉ«, am dritten »Mit Ernst o Menschen KinderÉ«. Am vierten Advent heißt es je nach Stadtteil »Dein König kommt, o Zion« oder »Tochter Zions«. Diese Liedfolge steht seit dem 18. Jahrhundert fest, sie wird von beiden Konfessionen akzeptiert und es gibt überhaupt keinen Grund, daran in Zukunft irgendetwas zu ändern. »Solche Versuche sind in der Vergangenheit jedenfalls stets gescheitert«, sagt Helmut Flöttmann schmunzelnd.
Auf dem Platz vor der Apostelkirche begrüßt er über den Lautsprecher eines Feuerwehrwagens 328 Adventssänger und 85 Bläser aus dem Jugendmusikcorps Avenwedde, dem Posaunenchor des Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums, aus dem Posaunenchor der Erlöserkirche und aus dem der Gemeinde Blankenhagen. So hohen Aufwand treiben die Sänger höchstens alle 30 Jahre. Solange liegt das letzte Treffen aller Adventssänger der Stadt inzwischen zurück.
Zu dem historischen Treffen ist auch Bürgermeisterin Maria Unger gekommen. Über den Lautsprecher erklärt sie den Sängern, warum sie so früh aufstehen müssen: »Das hat historische Gründe. Im 18. Jahrhundert wurden die Adventslieder in der Nacht gesungen. Junge Männer unterstützten dabei den Nachtwächter. Doch dann gesellten sich immer wieder Betrunkene zu den Sängern und es gab Radau.« Pastor Hüssen habe schließlich entschieden, den Gesang auf fünf Uhr morgens zu verlegen. Dann waren die Störenfriede im Bett und nur noch Sänger unterwegs, die sich wirklich auf die Geburt Jesu freuen. Den Nationalsozialisten war die Tradition unheimlich. Sie setzten ab 1933 Polizisten gegen die Sänger ein. Anklage: Ruhestörung. Jetzt sangen die Gütersloher erst recht weiter. Zu den Sängern zählten gestern auch Dr. Karin und Dr. Peter Zinkann: »Es ist eine wunderbare Tradition, von der wir hoffen, dass sie Gütersloh noch lange erhalten bleibt. Trotz des frühen Aufstehens.«
Damit hat Erwin Fink (55) keine Probleme. »Ich werde auch wach, wenn ich am Abend vorher gefeiert habe. Das sitzt einfach drin.« Seit seinem zwölften Lebensjahr singt er regelmäßig mit: »Damals hat es mir mein Vater zum ersten Mal erlaubt.« Er habe sogar noch miterlebt, wie Heinz Kardinahl (87) und Martin Krinke (94) vor dem Singen Brote schmierten und Kaffee kochten: »Die waren dann schon seit halb vier auf.« Barbara Gratzla lebt seit neun Jahren in Gütersloh und stand zum erstenmal mit auf, weil sie nicht glauben mochte, dass es wirklich Leute gibt, die sich um diese Zeit zum Singen treffen: »Seitdem bin ich mit dabei.« Die kleine Sylvia kann nicht sagen, wie sie es schafft, vor fünf aus den Federn zu kommen. Sie ist jetzt einfach zu müde.

Artikel vom 18.12.2006