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Angeklagter freigesprochen

Vorwurf der Vergewaltigung einer Türkin: Gericht glaubt Opfer nicht

Hiddenhausen (cl). »Ihre Einlassungen waren überhaupt nicht plausibel und erinnerten stark an Märchen aus tausendundeiner Nacht«, bescheinigte der Vorsitzende Richter am Landgericht Heinz Gaßmann dem 40-jährigen Türken Ali O. (Name geändert) und fuhr fort: »Auch Ihre drei Entlastungszeugen halfen dem Gericht bei der Wahrheitssuche nicht weiter!« Umso überraschender war das Urteil der XIV. Kleinen Strafkammer: Freispruch auf Kosten der Landeskasse!

Der Angeklagte wurde von Rührung übermannt und konnte seine Tränen nicht zurückhalten. In erster Instanz war er vom Herforder Schöffengericht zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.Die Begründung für den Freispruch war auffällig flach: Bei der 18-jährigen Zeugin Sibel M. seien während der fünfstündigen Befragung doch einige Ungereimtheiten aufgetreten, die letztlich nach dem Grundsatz »in dubio pro reo« (im Zweifel für den Angeklagten) zur Entscheidung des Vorsitzenden und der Schöffinnen geführt hätten.
Oberstaatsanwalt Reinhard Baumgart wird in Absprache mit der Anklageverfasserin Revision einlegen. Er hatte unter Einbeziehung von vier Monaten aus einer anderen Verurteilung drei Jahre gefordert. Ali O. hat wegen sexueller Nötigung gegenüber zwei 17 bzw. 18 jungen Mädchen schon einmal zwei Jahre und neun Monate in Bayern verbüßt.
Bei der Vorgehensweise der Kammer könnte allerdings ein großer Prozentsatz von angeklagten Vergewaltigern freigesprochen werden. Neutrale Zeugen, die eine lupenreine und über jeden Zweifel erhabene Darstellung abgeben können, sind in solchen Fällen eher selten.
Die angeklagten Vorfälle sollen am Abend des 30. November 2004 im Haus der Tante von Sibel M. in Oetinghausen begangen worden sein. Der verheiratete 38-jährige Angeklagte hatte sich im Internet als 23 Jahre junger lediger Landsmann dargestellt und auch gegenüber den Tanten der 17-Jährigen in ihrer Heimatstadt Augsburg und in Oetinghausen seine Heiratspläne bekundet.
Bei der Herforder Verhandlung mussten sowohl die Hauptbelastungszeugin als auch die Ehefrau des Angeklagten notärztlich versorgt und ins Mathildenhospital eingeliefert werden, beim Landgericht Bielefeld Sibel M. ein weiteres Mal, diesmal nach Gilead.
Einen Wermutstropfen hatte die Kammer allerdings für Ali O.: Weil er am 16. Mai während der Urteilsberatung des Herforder Schöffentrios Sibel M. und ihren Vater bedroht hatte, war er wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft gekommen, die bis gestern Bestand hatte. Dafür wurde ihm jede Entschädigung ausdrücklich verweigert. Der Nebenklagevertreter Mathias Steuer hat inzwischen rechtskräftige dauerhafte Annäherungs- und Kontaktverbote erwirkt: Bei jeder Zuwiderhandlung drohen Ali O. 25 000 Euro Ordnungsgeld oder entsprechend Ordnungshaft.

Artikel vom 13.12.2006