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Ein Schiri ist kein Mittelstürmer

Fußball: Jung-Schiedsrichter Christian Heymann über die Schulter geschaut

Von Sören Voss
Halle (WB). Fünf-gegen-Zwei zum Aufwärmen, dann Sprint-Übungen, eine Runde Torschuss und schließlich das berühmte Abschlussspiel - wie eine normale Trainingseinheit für Fußball-Spieler aussieht, weiß (fast) jeder. Doch wie werden eigentlich die jungen Schiedsrichter geschult? Wie bereiten sich vor allem Neulinge auf ihre ersten Einsätze an der Pfeife vor? Das WESTFALEN-BLATT schaute dem 16-jährigen Nachwuchsmann Christian Heymann (SC Halle) über die Schulter.

Sportplatz Peckeloh, Samstag Nachmittag, kurz vor halb vier. Gewissenhaft prüft Christian Heymann die Tornetze auf eventuelle Löcher. In wenigen Minuten wird das Spitzenspiel der C-Jugend-Kreisliga B angepfiffen. Nachdem Tabellenführer TSV Amshausen das erste Aufeinandertreffen hauchdünn mit 5:4 gewonnen hat, verspricht auch das zweite Duell ein heißer Tanz zu werden. Gastgeber SC Peckeloh hat deswegen beim Kreis extra einen Unparteiischen angefordert. Und dieser ist zusammen mit seinem Schiedsrichter-Betreuer Ingo Engelstädter nach Peckeloh gekommen. »Du schaffst das schon. Immer die Ruhe. Mach' dein Ding«, gibt Engelstädter, selbst erfahrener Pfeifenmann, seinem Schützling mit auf dem Weg.
Der 16-Jährige hat erst vor kurzem seine Schiedsrichter-Prüfung abgelegt und sein vierter offizieller Einsatz beginnt nicht gerade wunschgemäß. Nur Sekunden nach dem Anpfiff steht Heymann direkt im Peckeloher Passweg und wird vom Spieler aus kurzer Distanz angeschossen - die Höchststrafe für einen Schiedsrichter. In diesem Falle die Folge eines Stellungsfehlers, wie ihn Engelstädter gerade bei den Anfängern häufig sieht: »Die meisten sind selbst aktive Fußballer und haben natürlich ganz andere Laufwege im Kopf. Aber ein Schiedsrichter ist kein Mittelstürmer. Darauf müssen sich die Leute erst einstellen.«
Nicht nur aus diesem Grund hat es der Neuling zunächst schwer, sich auf dem Platz Respekt zu verschaffen. Die Spieler sind nur zwei, allerhöchstens drei Jahre jünger als er selbst, was das Auftreten des Realschülers nicht selbstsicherer wirken lässt.
Dennoch bekommt der Unparteiische das Geschehen mit zunehmender Spieldauer besser in den Griff. Mit jedem Pfiff steigt das Selbstvertrauen, so dass Christian Heymann auch bei der Schlüsselszene des Spiels den Überblick behält. Ein Amshausener Spieler hat den Ball im eigenen Strafraum mit einer unnatürlichen Handbewegung am Überschreiten der Torlinie gehindert. Der Schiedsrichter gibt Elfmeter und stellt den Akteur mit »Knallrot« vom Feld. Zwischenrufe aus den Zuschauerreihen, der betroffene Gäste-Trainer bringt seinen Unmut lautstark zum Ausdruck: »Das kann doch nicht wahr sein. Völlig übertrieben!« So sieht es prinzipiell auch Beobachter Engelstädter: »Rot ist eine harte Strafe, aber so sehen es die Regeln vor.« Peckeloh verwandelt den Strafstoß und geht mit einem 2:1 in die Pause.
In der Kabine gibt es nicht nur für die Spieler eine Ansprache, sondern auch für den Schiedsrichter. Ingo Engelstädter lobt den Nachwuchsmann, macht ihn aber auch auf Fehler aufmerksam: »Du musst aufpassen, dass du beim Laufweg an die Diagonale denkst. Nicht so viel in der Mitte aufhalten. Von da hast du keinen Überblick.«
Weiter geht's. Peckeloh trifft zum 3:1. Ein korrekter Treffer, an dem es genauso wenig zu deuteln gibt wie am späteren Elfmeter, den Amshausens Kapitän verschießt. Souveräner hingegen präsentiert sich von Minute zu Minute der Schiedsrichter, der das Spiel beim Stand von 4:2 mit nur einer Minute Nachspielzeit abpfeift. Die Amshausener sind immer noch sauer wegen der Roten Karte aus der ersten Halbzeit. Am liebsten möchten sie dem Schiedsrichter die Schuld für ihre erste Saisonniederlage in die Schuhe schieben.
Doch Christian Heymann interessiert das wenig. »Mir hat's Spaß gemacht. Meine Schwester, Vater und Bruder waren schon Schiris. Mein Bruder hat es sogar bis in die Landesliga gebracht. Das will ich auch schaffen - mindestens.« Ingo Engelstädter ist zuversichtlich. Er bescheinigt dem Realschüler eine gute Leistung. »Nach Schulnoten eine ÝZwei minusÜ. Die Abzüge wegen der Laufwege. Aber er wird seinen Weg schon machen.«

Artikel vom 09.12.2006