08.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Gehetzte in der Wolfsschlucht

Beeindruckende »Freischütz«-Aufführung des Landestheaters Detmold

Von Hans-Joachim Chollet
Paderborn (WV). Klingendes Nikolaus-Geschenk Mittwoch Abend in der fast ausverkauften Paderhalle: Das Landestheater Detmold gastierte mit Webers volkstümlicher Oper »Der Freischütz«.

Das immer wieder gespielte Meisterwerk wird von Experten als erste deutsche Volksoper neben Mozarts »Zauberflöte« gesehen, und da Weber seine zentralen Szenen im deutschen Wald statt in den »Heiligen Hallen« angesiedelt hat, gilt der »Freischütz« als Inbegriff der Romantik.
In der Ouvertüre klingt schnell die Waldstimmung auf, in die sich allerdings bald Elemente des Dämonischen mischen, und das gut aufgelegte Orchester unter Leitung von Erich Wächter breitet gekonnt den charakterisierenden Klangteppich aus, auf dem sich das Schicksal des ersten und zweiten Jägerburschen entwickelt: Ulf Bunde als geschmeidiger glattzüngiger Caspar, Johannes Harten heldentenoral als von Fehlschüssen verunsicherter Max - beide Getriebene ihrer Wünsche, beide in Liebe zu Agathe (Jutta Maria Fries mit schlankem Sopran, aber gebremster Körpersprache) entbrannt - und so Konkurrenten.
Die Inszenierung von Jochen Biganzoli schlägt neue Funken aus der altvertrauten Geschichte, denn statt idyllischer Kleinmalerei weitet sie das Geschehen psychologisch aus, indem sie schon mit dem verengten halbdunklen Raum des Ersten Aktes die Ausweglosigkeit des Jägerburschen Max symbolisiert. Der Jäger wird zum Gejagten. Die Regie schafft leichte unmerkliche Überleitungen, indem sie eine Szene erstarren lässt und mit angedeuteten Tagträumen die Handlung weiterführt.
Auch die berühmte Wolfsschluchtszene - Bravourstück genialer Theatermagier - ist hier kein geographischer Ort, sondern Landschaft eines Albtraums, und Biganzoli lässt den Chor zur bizarren Kulisse und zum vielstimmigen Teufel Samiel werden: Die Wolfsschlucht - das sind wir alle: die Masse Mensch, die den einzelnen drängt und hetzt (schon in der eindrucksvollen Eingangsszene) oder in Neugier und Teilnahmslosigkeit erstarrt, sich am Leiden des einzelnen weidet.
Im zweiten Teil scheint revolutionäres Aufbegehren durch, wenn der leutselige Fürst zum knochenharten Feudalherren mutiert - gesellschaftliche Zwänge, die auch Max einengen, der nach seinem Flirt mit den »dunklen Mächten« (den Freikugeln) seine Wünsche für ein Probejahr zurückstellen muss. Nur Annette Blazyczek, bezaubernd jungmädchenhaft, irrlichtert mit hellem Sopran als Agathes junge Verwandte aufmunternd keck durch das düstere Geschehen, das immer wieder musikalisch durch volkstonnahe Melodik aufgelockert wird und im dramatischen Finale seinen Höhepunkt erreicht.
Starker Beifall für einen stimmenschönen beeindruckenden Theaterabend mit zeittypischen Kostümen, der das Bühnengeschehen näher an das Publikum heranzurücken schien.

Artikel vom 08.12.2006