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Gesundheit kocht
auf Sparflamme

Mediziner warnen vor schlechten Reformen

Von Elke Bösch (Text und Fotos)
Rahden/Altkreis Lübbecke (WB). Kerzenlicht empfing gestern die Besucher in der Kinderarztpraxis von Dr. Wolfgang Adam, Michael Reifenscheid und Dr. Christiane Kühn in Rahden. Doch die Mediziner wollten Patienten und deren Eltern nicht etwa auf die Adventszeit einstimmen, sondern veranstalteten einen Protesttag.

Kaum eine elektrische Lampe brannte, die Heizung war herunter gefahren, und von den drei Ärzten behandelten nur zwei. Statt neun Arzthelferinnen war nur eine im Einsatz, Nastja Böse. Sie war damit beschäftigt, Termine abzusagen und neue zu vergeben. Nur notwendige Fälle wurden versorgt. »Diese Praxis arbeitet heute auf Sparflamme«, berichtete Dr. Adam. Den Patienten solle damit das Szenario vor Augen geführt werden, was sie in Zukunft erwartet, sollte die Gesundheitsreform greifen.
Und aus ihrer Meinung zu dem Vorhaben von Politik und Krankenkassen machten die Kinderärzte keinen Hehl. Auf drei großen Plakaten im Foyer, konnten die Besucher das sogar lesen. »Sparwahnsinn nicht schon bei den Kindern und Jugendlichen.« »Was darf ihr Arzt noch? - Fragen sie dazu ihren Politiker oder ihre Krankenkasse.« - »Jetzt reichts, sparen, sparen, und den Arzt noch selber zahlen lassen«, stand da geschrieben. Und ein Schriftzug an der Kleidung warnte vor »www.patient-in-not.de.«
Patienten stehen heute vor verschlossenen Arztpraxen oder sie werden wie bei Dr. Adam nur mit einer »Basismedizin« versorgt. Das Ärzteteam beteiligt sich am Protest gegen Gesundheitsreform, die 2007 kommen soll. »Wir unterstützen die Aktionen, da wir weitere Einschränkungen in unserer Arbeit am Patienten nicht mehr einsehen. So heißt das Motto ÝPatient-in-NotÜ, denn seit Jahren sparen wir hier. Bei Medikamenten nehmen wir schon fast ausschließlich zweite Wahl und Kinderkuren mussten um 50 Prozent reduziert werden. Das können wir einfach nicht mehr kompensieren«, versichert Dr. Adam.
Die Konsequenzen sind schmerzhaft, besonders für das Personal. Denn, daran lässt Dr. Adam keinen Zweifel. »Die Praxen müssen 2007 Arzthelferinnen entlassen und die Leistungen einschränken.« Es sei traurig, dass immer stärker nur noch Krankenkassen und Politik bestimmten. Das führe zur zwei Klassen Medizin.
Aber der Kinderarzt weiß auch, dass es für die Patienten schwer ist, dass Kassensystem zu durchschauen. »Deshalb möchten wir den Patienten veranschaulichen, wohin der Weg führt. Praxen werden schließen, Ärzte an der Basis vieles wieder allein erledigen und Patienten auf Termine warten müssen. Sonographien, EKG, bildgebende Untersuchungen, Allergieuntersuchungen und gute Vorsorgeuntersuchungen wird es nicht mehr in notwendiger Menge geben«, blickt Adam mit Sorge in die Zukunft.
Deshalb will die Kinderarztpraxis in der Feldstraße aufklären. »Die meisten Versicherten ahnen noch gar nicht, wie die ÝBilligmedizinÜ der Zukunft aussieht. Mehr als 30 Prozent der medizinischen Leistungen werden schon heute nicht mehr in den Arztpraxen bezahlt. Auch beim Handwerker, Computerexperten und bei anderen Dienstleistern bezahlt man für gute Arbeit auch gutes Geld. Das verstehen die meisten Patienten. Kaum einer weiß, dass die Gesundheitspolitik ein Drittel der Kassenärzte und ein Drittel der Krankenhausbetten für überflüssig hält. Adam und seine Mitarbeiter richten die Bitte an ihre Patienten: »Diskutieren Sie nicht mit dem Arzt, sondern mit Ihrem Abgeordneten. Denn wenn die Politik das Gesetz so verabschiedet, haben wir Ärzte unseren Patienten wenigstens die Wahrheit gesagt und sie informiert. Dann bieten wir die Staatsmedizin und für die Patienten wird der einmalige Protesttag wie heute zum Normalfall. Wer eine bessere Medizin will, muss wohl privat aus eigener Tasche zuzahlen.«

Artikel vom 05.12.2006