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Eine Stimme des Menschlichen

Mit unverstelltem Blick dokumentiert Nermin Muhic Gewalt und Vertreibung

Gütersloh (WB). Mehr als bloße Reportagen stellen die während der Zerstörung Sarajevos entstandenen Fotoserien von Nermin Muhic dar. Bis zum 7. Januar sind elf Abzüge in schwarzweiß aus verschiedenen Fotoserien und zwölf neuere Farb-Prints aus dem Jahr 2005 im Veerhoffhaus ausgestellt.

Muhic war und ist wohl alles andere als für den Krieg gemacht. Vielmehr wirkt durch alle seine dokumentarisch aufschlussreichen und von Gewalt, Tod, Leid, Zerstörung und Vertreibung handelnden Motive jenes Bewusstsein eines Menschen hindurch, der in Anbetracht des Furchtbaren nicht weggeschaut hat.
Der 1962 in Sarajevo geborene Muhic studierte Jura. Anschließend arbeitete er als Fotograf bei der Tageszeitung Oslobodjenje. Bevor er sich von 1992 an als freier Fotoreporter bewegte, war er zum Beispiel noch 1984 für die Olympischen Winterspiele in Sarajevo für die Tageszeitung Vecernje Novine eingestellt. Als Jurist mit Sinn für Recht und Ordnung und als Pressefotograf mit dem Blick fürs Dokumentarische lenkte Muhic sein Augenmerk sogar in Anbetracht des Grauens und inmitten der Zerstörung auf das Menschliche. Dies bewahrheitet sich in allen seinen Motiven. Und er richtete nicht nur die Linse auf das Menschliche, sondern seine Fotografien aus der Kriegszeit verleihen dem Menschlichen inmitten der Schreckensszenarien eine schweigende Stimme.
Nicht nur er selbst, sondern auch die von ihm abgelichteten Menschen waren allesamt nicht für den Krieg gemacht. So abgegriffen es klingen mag, wird dem Betrachter durch die Blicke der alten Frau mit abwehrender Geste hinter einem alten Wohnungsfenster - direkt daneben ist die Hausmauer übersät mit Kugeleinschüssen - deren Unschuld deutlich. Auch Kinder - sie halten zum Beispiel Pistolen ihrer Väter in Händen - wirken allen Gefahren zum Trotz naiv, freundlich oder als wäre alles nur ein Spiel.
Die Bilder von 2005, die der moslemische Muhic von mit Rosen gesäumten alten und schon abgewitterten Steinkreuzen auf einem christlichen Friedhof in Kroatien aufnahm und die den Papstbesuch in Paderborn mit der über allem prangenden Beschriftung »Einig in der Hoffnung« eindrücklich charakterisierende Serie des Jahres 1996 verdeutlichen nochmals den unverstellten Blick des Menschen Muhic. Denn sie beeindrucken durch die von ihm möglicherweise unbeabsichtigten Nuancen, die sich mit Begriffen wie Offenheit, Friedfertigkeit und Versöhnung sowie auch Demut vielleicht am besten andeuten lassen.
Johannes Zoller

Artikel vom 02.12.2006