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»Felix bei Lamonta gut aufgehoben«

Profi Jörg Ludewig begrüßt den Wechsel des RSV-Talentes nach Wiedenbrück

Kreis Gütersloh (WB). Auf dem Papier ist Jörg Ludewigs Vertragsunterschrift beim Team Wiesenhof-Felt ein »Abstieg«. Nach dem turbulenten Jahr 2006 bedeutet sie für den Radprofi und dreifachen Tour-de-France-»Finisher« aus Steinhagen indes die Chance, wieder sportlich aufzutrumpfen und seinen Beitrag zu leisten, damit der deutsche Radsport nach dem Schock der »Affäre Ullrich« künftig positive Schlagzeilen herausfährt. Im Gespräch mit Gunnar Feicht, Stephan Arend und Sören Voss aus der WB-Sportredaktion Halle beleuchtet der 31-Jährige noch einmal seine zurückliegende Zwangspause, blickt aber auch voraus auf seine persönliche Zukunft.

Ludewig hatte vor einem Jahr mit der Vertragsunterzeichnung bei T-Mobile den Sprung in »das« deutsche Profiteam geschafft, aber auf die Erfüllung eines Traums folgte im Sommer der Albtraum. Wenige Tage, nachdem Jan Ullrich wegen belastender Indizien in der Blutdoping-Affäre um den spanischen Arzt Dr. Fuentes von der Tour de France suspendiert worden war, veröffentlichten ZDF und Süddeutsche Zeitung ein Fax aus dem Jahr 1998, in dem Ludewig sich nach Dopingpräparaten erkundigt hatte.
Wie haben Sie die Zwangspause gemeistert?Ludewig: Die Sache hat mich zwar ganz schön 'runtergezogen, aber ich habe nie faul und untätig auf dem Sofa gesessen. Da habe ich eben die Heckenschere geschwungen oder versucht, all' das selber zu machen, was ich zur Renovierung unseres Hauses beisteuern konnte. Mit am schlimmsten war natürlich die finanzielle Ungewissheit, denn wir hatten ja eigentlich mit dem Gehalt von T-Mobile auf mehrere Jahre hinaus geplant. Sportlich gesehen hatte ich mit dem Start beim Steinhagener Profi-Rennen bald wieder ein Ziel, aber nach dem 3. September sah es auf einmal düster wieder aus, wegen der totalen Unklarheit, was die Zukunft angeht.
Die Suche nach einem neuen Team hat lange gedauert. Wie kam es letztendlich zur Einigung mit Wiesenhof?Ludewig: Es schien eigentlich ziemlich schnell so, dass ich beim belgischen Unibet-Rennstall unterkommen würde, nachdem mich auch mein ehemaliger T-Mobile-Chef Olaf Ludwig bei Jacques Hanegraaf empfohlen hatte. Aber der Hauptsponsor ist von einem schwedischen Unternehmen gekauft worden, das wegen seiner totalen Null-Toleranz-Politik im Zusammenhang mit der Doping-Diskussion im Sommer offenbar gegen meine Verpflichtung war. Für mich der zweite absolute Tiefpunkt - da habe ich zunächst gar keine sportliche Perspektive mehr gesehen. Ein italienischer Manager hat dann Südeuropa für mich abgeklappert, ich habe alle meine Kontakte spielen lassen, Stuart O'Grady in meiner Verzweiflung sogar nachts um 3 Uhr in einem australischen Pub angerufen. Aber nichts kam dabei heraus. Erst über meinen Kumpel Ole Ternes, der in Gütersloh eine Agentur betreibt, kam wieder Bewegung in die Sache. Der hatte schnell Kontakte zu sieben Teams hergestellt, auch zu Raphael Schweda und Jens Heppner, dem Teamchefs von Wiesenhof.
Wie sehen Sie in der Rückschau von heute aus Ihre fatale Anfrage nach Dopingmitteln von 1998, die diesen Sommer viel Staub aufgewirbelt hat?Ludewig: Ich bin damals aus dem Amateursport gekommen und wollte mich ganz naiv erkundigen, was da so läuft. Unter dem Eindruck der Festina-Affäre hatte man den Eindruck: Die fahren hier alle mit Super und ich bin nur mit Diesel unterwegs. Zum Glück hatte ich meinen damaligen sportlichen Leiter und einen Apotheker aus der Region als Leute vom Fach, die rechtzeitig eingeschritten sind und mir über die Risiken die Augen geöffnet haben.
Wie sieht Ihr aktuelles Trainingspensum aus, um im Frühjahr beim Renn-Comeback eine gute Rolle spielen zu können?
Ludewig: Morgens beginne ich mit einer halben Stunde Laufen, danach ein paar Kräftigungsübungen für Bauch und Rücken. Um 10 Uhr sitze ich dann auf dem Fahrrad, trainiere meistens bis 14 Uhr. Am Nachmittag stehen dann entweder Massage, Termine bei meinem Heilpraktiker oder andere Aufgaben rund um den Radsport an. Seit fünf Wochen bin ich wieder richtig im Training, habe es von bitterbösen 83 Kilo - da sagen dann alle: »Junge, du siehst aber gut aus« - auf 77,5 Kilo geschafft. Tour-de-France-Anreisegewicht war für mich immer 73,5 Kilo. Bis Ende Januar habe ich noch genug Zeit, in aller Ruhe auf das ideale Wettkampfgewicht zu kommen.
Was könne Sie zu Ihrem voraussichtlichen Rennprogramm sagen?Ludewig: Meine Highlights sollen Deutsche Meisterschaft, Deutschland-Tour, Henninger Turm und das ProTour-Rennen in Hamburg sein. Ich habe mir 84 Renntage 'rausgesucht, in denen ich richtig gut Fahrrad fahren will. Und ich merke jetzt schon: Es macht einfach Spaß, dass bei diesem Team meine Erfahrung aus sieben Jahren in der höchsten Profi-Kategorie gefragt ist. Ich werde praktisch vom Indianer zum Ersatzhäuptling.
Das Steinhagener Radrennen um den Großen Preis des WESTFALEN-BLATTes am ersten September-Wochenende - was kann man in Zukunft davon erwarten?Ludewig: Das Potenzial hat man dieses Jahr wieder gesehen, als trotz der Tour-de-France-Vorgeschichte und des ersten Fußball-Länderspiels unter Jogi Löw zur gleichen Zeit einige tausend Zuschauer an der Strecke waren. Ich gehe davon aus, dass man den Hauptsponsor durch einen potenten Co-Sponsor noch unterstützen kann, um das Rahmenprogramm noch etwas dynamischer zu gestalten als bisher, dass wir Live-Musik anbieten können, um noch mehr Ambiente an die Strecke zu bekommen und noch mehr junge Leute anzusprechen. Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, um zusätzlich zu den Radsportfans weitere allgemein sportlich interessierte Bürger zu mobilisieren. Was das Fahrerfeld angeht, kann man wegen der entsprechenden Kontakte davon ausgehen, dass wir Fahrer von T-Mobile, Milram, Gerolsteiner, Wiesenhof plus einen Hochkaräter aus dem Ausland an den Start bringen können.
Felix Schäfermeier ist ein talentierter Radsportler, der das Zeug dazu hat, vielleicht in einigen Jahren in Ihre Fußstapfen zu treten. Ist er mit dem Wechsel vom RSV Gütersloh zu Lamonta den richtigen Schritt gegangen?Ludewig: Seine Entscheidung war richtig, denn das Lamonta-Team 2007 ist mit dem Rennkader des Vorjahres nicht mehr zu vergleichen: Statt auf Hondo, statt auf Weigold und Glasner setzt man voll auf die U23-Nachwuchsschiene. Besser konnte es deshalb für ihn nicht laufen: Er wird bei Lamonta nicht verheizt, weil die Verantwortlichen Kramer und Sievers zwei versierte Leute sind.
Das A und O bei Felix aber ist: Der fährt mit 'nem dreckigen oder sauberen Rad, dem kannst du das Lenkerband abmachen, dem kannst du 'ne 500-Euro-Hütte hinstellen, das ist ihm alles egal - weil er ein Ziel hat. Im Gegensatz zu vielen anderen in seinem Alter, die überhaupt nur losfahren, wenn sie Carbonlaufräder drin haben oder die Brille schneeweiß ist. Ich sehe ihn deshalb als eines der größten Talente, weil er menschlich so grundfest ist und ganz konsequent seine Linie durchzieht.

Artikel vom 25.11.2006